Muss man als Sozialarbeiter/in für unbegrenzte Zuwanderung sein?

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Peter Pantuček-Eisenbacher

Sozialarbeit ist keine politische Bewegung, sondern eine Profession, die als notwendige Denkvoraussetzung ihrer Arbeit den Anspruch auf eine inklusive Gesellschaft mit sich trägt.

Roland Fürst hat mit seinem Beitrag im Standard, der Anlass für diese Diskussion ist, einige Fragen aufgeworfen, die m.E. sehr wohl von großer Relevanz für das Selbstverständnis von Sozialer Arbeit sind bzw. Kernbereiche eines Verständnisses von demokratischer – und damit auch von sozialdemokratischer – Politik berühren.

  1. Muss man als SozialarbeiterIn für unbegrenzte Zuwanderung sein?
  2. Was sind die Grenzen des Konzepts multikultureller Toleranz?
  3. Wie kann auf Armutslagen bzw. auf die Ungerechtigkeiten bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums reagiert werden?
  4. Und schließlich hat er in der Diskussion Fragen der Selbstgerechtigkeit der „Linken“ eingebracht und kritisiert.

In diesem Diskussionsbeitrag kann ich nicht auf alle diese Fragen eingehen. Ich werde mich auf die erste konzentrieren, sie mit „nein“ beantworten, dafür aber eine sehr weitreichende andere normative Festlegung treffen.

Vorerst einmal eine Erläuterung meiner (biographischen) Ausgangsposition: Ich verstehe mich einerseits als Sozialarbeiter und Sozialarbeitswissenschafter. andererseits als Bürger, „links“ sozialisiert in einem mit der Arbeiterbewegung verbundenen Arbeiterhaushalt. Nach langen Jahren in linken Bewegungen diesbezüglich gehörig desillusioniert, nunmehr mit starken liberalen Einsprengseln. In der Folge werde ich allerdings vorwiegend versuchen, innerhalb des Sozialarbeitsdiskurses zu bleiben. Zum Diskurs in der Sozialdemokratie kann und will ich nichts beitragen. Einige Seltsamkeiten in der Linken berühren mich allerdings sehr wohl, und sie sind m.E. mit auch in der Sozialen Arbeit verbreiteten Seltsamkeiten eng verbunden. Dazu werde ich vielleicht in einem späteren Beitrag Stellung nehmen.

Sozialarbeit ist keine politische Bewegung, sondern eine Profession, die als notwendige Denkvoraussetzung ihrer Arbeit den Anspruch auf eine inklusive Gesellschaft mit sich trägt.

Wie auch immer es dazu gekommen sein mag, dass sich Personen nun hier, in diesem Staat, auf diesem Territorium, aufhalten, geht es darum, dass sie am gesellschaftlichen Prozess teilhaben können. Das ist ein Prozess des Austauschs, d.h. es muss ihnen ermöglicht werden, beizutragen, was sie beitragen können. Und es muss ihnen möglich sein, die gesellschaftliche Infrastruktur zu nutzen und damit die Voraussetzungen für ein gutes Leben auf dem erreichten gesellschaftlichen Niveau der Produktivkräfte und der sozialen Entwicklung zu erlangen.

Der Ausgangspunkt der Tätigkeit der Sozialen Arbeit ist immer das Faktische, das Vorfindliche. Wer da ist, ist da. Sein / ihr Leben zählt. Anders geht es gar nicht für sie, will sie sich selber treu bleiben und nicht ihre eigenen Grundlagen unterminieren. Tut sie es dennoch, driftet sie ab in Richtung einer Selektionsinstitution. Das ist sie ganz radikal schon einmal unter dem Nationalsozialismus gewesen, sie hat dieses Element aber schon vorher in sich getragen und auch nach dem Untergang des Nationalsozialismus nie ganz abgelegt. In dem Maße, wie sich die Soziale Arbeit mehr der Selektion und weniger der Schaffung der Möglichkeiten von Inklusion widmet, gibt sie sich als Profession auf. Selektieren, das können andere auch. 

Insofern: Solange man als SozialarbeiterIn spricht, kann es nur um Inklusion gehen, um die Suche nach Wegen der Inklusion auch unter erschwerten Bedingungen. Das Anziehen von Schrauben der Repression, der Ausschluss von hier lebenden Personen vom Arbeitsmarkt bzw. die Beschneidung von Transferleistungen für beliebige Bevölkerungsgruppen wird man kritisieren müssen: Nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch weil es für den sozialen Frieden kontraproduktiv ist, legale Verdienstmöglichkeiten abzuschneiden. Zumal Menschen ja trotzdem ihr Leben finanzieren müssen, treibt man sie so in die Arme krimineller Verbindungen. Von einem professionellen sozialarbeiterischen Standpunkt aus betrachtet, wird man auch gegen Argumentationen auftreten müssen, die pauschal gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gerichtet sind, seien es jetzt „Moslems“ oder „Türken“ oder „Ausländer“ oder „Juden“ oder „Sozialschmarotzer“ oder wer auch immer. Ob man dabei auf jede diesbezügliche Äußerung reagiert oder das selektiv tut, das ist eine Frage von Taktik und Strategie. Denn das Kapital, das die Soziale Arbeit einsetzen kann, um Inklusion auch unter schwierigen Bedingungen zu fördern, ist ihr Status, und der ist via gesellschaftlicher Beauftragung zugeteilt, geborgt. Wenn man Einfluss und Respekt verliert, sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit der Interventionen. Der Diskussionsbeitrag von Manuela Brandstetter bezieht sich auf diese Fragen der Taktik / Strategie.

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Wie viele „Ausländer“ ins Land gelassen werden, das ist meines Erachtens keine sozialarbeiterische Frage und kann von einem beruflichen Standpunkt aus m.E. auch nicht beantwortet werden. Das ist eine politische Frage. Auch dafür gibt es internationales Recht. Sich daran zu halten, ist unumgänglich, und das erwarte ich von „meinem“ Staat. Das erwarte ich als Bürger dieses Staates, wie ich von ihm erwarte, dass er nicht durch seine Politik Menschen in Gefahr bringt.

Exemplarisch für die Verwechslung von Profession / professionsbezogener Wissenschaft mit einer politischen Bewegung kann der Beitrag von Kevin Brown in einem SIÖ im vergangenen Jahr stehen, in dem er den „Sieg“ in der Diskussion um die International Definition of Social Work als Gründungsereignis einer „neuen Internationale“ feierte.

Bezugnehmend auf den Diskussionsbeitrag von Manuela Brandstetter:

Manu, Du hast in Deinem Beitrag darauf hingewiesen, dass ich in der Lehre und in den Supervisionssitzungen mit Dir stets gegen eine missionarische und für eine pragmatische Vorgehensweise plädiert habe. Dabei bleibe ich. Praktisch muss m.E. für die Soziale Arbeit im Vordergrund stehen, im Gespräch zu bleiben und sich nicht durch moralisierende Besserwisserei selbst aus dem Spiel zu nehmen. Das ist eine taktisch-pragmatische Vorgehensweise, die Wirksamkeit ermöglicht und es den „anderen“ erschwert, mich auszugrenzen bzw. meine Möglichkeiten der Einflussnahme zu begrenzen. Das gilt gegenüber KooperationspartnerInnen ebenso wie gegenüber KlientInnen. Wenn ich mich in meinem Rechthaben suhlen kann, habe ich praktisch genau nichts gewonnen. Ich verstehe die Soziale Arbeit nicht als ein explizit politisch-missionarisches Projekt. Allerdings: Die von mir eingangs dieses Abschnittes skizzierte Denkvoraussetzung der Sozialen Arbeit – eine inklusive Gesellschaft als Anspruch – ist letztlich natürlich politisch. In ihrer Praxis wird es, soweit die soziale Arbeit bei sich bleibt, bei jedem Schritt um die Schaffung der Möglichkeit von Inklusion gehen müssen. Daran ist sie zu messen, daran muss sie sich selbst messen. Alle (kritischen) Auseinandersetzungen über die Qualität und die möglichen Wege der Sozialen Arbeit kann und soll man m.E. mithilfe dieser Frage führen.

Wenn man so will, ist das im Sinne von Max Weber ein Plädoyer für Verantwortungsethik und gegen Gesinnungsethik.

Das von Dir angesprochene Theorieprojekt (oder doch: methodisch-strategisches Projekt) wieder auferstehen zu lassen, halte ich für eine gute Idee. Zugegeben, es ist ein schwieriges Unterfangen. Und es wird m.E. nicht zu einer, zu „der“ Theorie der Sozialen Arbeit führen. Führen kann es allerdings zum Entwurf einer Theorielandschaft, bei der man sich nicht gegenseitig abwerten und ausgrenzen muss, weil man differente theoretische Zugänge präferiert. Es könnte ein Projekt sein, bei dem man die Schnittpunkte und Gemeinsamkeiten sucht. Und ein Projekt, bei dem man feststellen kann, welche Zugänge was besser abbilden und erklären. Ein bisserl konstruktiven Streit wird es geben müssen. Fangen wir an!