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Welches Subjekt? Welches Verschwinden? Keine Antworten auf eine Frage von Fritz-Rüdiger Volz.

Referat, gehalten auf dem Festkolloquium "Verschwindet das Subjekt aus der Sozialen Arbeit" zum 60. Geburtstag von Fritz-Rüdiger Volz in der Evangelischen Stadtakademie Bochum, 20.5.2006.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Fritz-Rüdiger hat uns die Frage gestellt, ob denn das Subjekt aus der Sozialarbeit verschwinde. Ich habe versucht zu ergründen, was er denn mit dieser Frage meinen könnte, welche Frage ich also beantworten soll.

Die Fragestellung verleitet zu allerlei Ulk. Ich verbiete mir das Anknüpfen an nahe liegendes, wie zum Beispiel die Frage, ob sich die Profession jemals wie ein Subjekt aufgeführt, oder sich nicht ohnehin schon stets lieber als Opfer gesehen hat, mithin als armes Objekt ökonomischer und politischer böser Mächte. Aus dieser Selbstzuschreibung scheinen schließlich so manche ihr moralisches Pathos zu beziehen. Allerdings wäre diese Verneinung des Subjektstatus natürlich auch eine Handlungsstrategie, also paradoxerweise Zeichen für den aufrechten Subjektstatus. Aber ich wollte mich ja nicht verführen lassen, was mir wieder einmal misslungen ist, nicht das erste Mal in meinem Leben.

Ich versuchte zu ergründen, von welcher Position das Subjekt denn verschwinden könnte. Aus der Klientenposition wohl kaum. Dort erobert es sich stets von neuem seinen Platz, mit geschickten Taktiken das unterlaufend, was die Sozialarbeiterinnen und die Organisationen der Sozialen Arbeit so für sie planen. Je rigider die Bemühungen zur Vereinheitlichung der Abläufe sind, umso eher verabschieden sich die Klienten geistig und real aus den Beziehungen, oder sie finden Taktiken des Unterlaufens, des Umgehens. Und wie das so mit Subjekten ist, nicht einmal darauf kann man sich verlassen, selbst das Mitspielen kann seine subjektiven Vorzüge haben. Diese Subjekte verschwinden nicht, aber sie werden zumindest teilweise als Subjekte unsichtbar, zumindest für die Organisation, und teilweise auch für die Fachkräfte. Man muss nichts Verstehen, man braucht keine Hermeneutik, um Klienten zur Selbststeuerung zu bringen. Denn Selbststeuerung ist unhintergehbar, es sei denn, man betäubt, erschlägt den Träger der Subjektivität. Mangels rudimentärer Fähigkeiten der Annäherung an die Subjektivität des Klientels verliert man allerdings den Anschluss. Man versteht nicht mehr, was die Klienten tun, man versteht also die Welt nicht mehr. Dabei glaubte man sie so gut im Griff zu haben. Die Lösung für dieses Problem: Man vergisst auch die Fragen. Ein Prozess des geschäftigen Dümmerwerdens bei der gleichzeitigen Anhäufung von Pseudowissen.

Versuche der Bürokratisierung von Abläufen, der Vorfertigung von Entscheidungsschablonen als verbindliche Muster, die verdrängen Wissen über Komplexität. Was verschwindet ist das Subjekt-Sein der Organisation, ihre schöpferische Variabilität in der Bearbeitung des Einzelfalls. Organisationen, die so starr geworden sind, produzieren was? Sie produzieren Fälle, mit denen sie nicht mehr fertigwerden. Fälle, für die man was braucht? Genau, man braucht Sozialarbeiter, die die Kunst beherrschen, sich auf das Sperrige, Unerwartete, wenig planbare, also auf Subjektivität einzulassen.

Das kunstgewerbliche Sozialarbeitersubjekt wird bei der einen Tür rausgetreten, um bei der anderen Tür wieder hereingebeten zu werden. Als Experte für das schlecht Planbare.

Jetzt bin ich ja kein Gegner von Planung, aber wie Possehl kurz und überzeugend dargelegt hat, besteht die wahre hohe Kunst der Planung im Erkennen des Unplanbaren und Ungewissen bei gleichzeitigem Aufrechterhalten des Versuchs, Sinnvolles zu tun, oder, anders ausgedrückt, handlungsfähig zu bleiben.

Aber die Aufgabe war ja, das verschwindende Subjekt zu finden. Ein hinterfotziger Auftrag, formuliert von einem, der stets auf die anthropologische Notwendigkeit verweist, dass Menschen ihr Leben selbst führen müssen, ihnen also der Subjektstatus eingeschrieben ist. Wie soll verschwinden, was nicht verschwinden kann, weil es den Raum konstituiert, in dem Fritz Rüdiger solche Fragen stellen kann.

Verschwinden kann allerdings der Begriff vom Subjekt. Er kann aus dem Exkurs verabschiedet werden, und jene, die auf die Unhintergehbarkeit des Wissens um Subjektivität pochen, können mit einem Naserümpfen bedacht werden. Schon wieder jemand, der diesen kalten Kaffee aufzuwärmen versucht.

Nun, in diesem Sinne könnte Subjektorientierung als Leitidee der Sozialen Arbeit tatsächlich auf einem Rückzug sein. Ich glaube schon zumindest einmal Adressat eines solchen Naserümpfens von prominenter Seite geworden zu sein und kultiviere diese Erinnerung als Identitätspartikel. M.E. wird man die Marginalisierung subjekttheoretischen Redens in der Sozialen Arbeit jedoch nicht dadurch stoppen können, dass man trotzig auf der Unstandardisierbarkeit von nahezu allem beharrt, was sozialarbeiterische Professionalität ausmacht, und die Intersubjektivität einer Sozialarbeiter-Klient-Beziehung zum letzten und einzigen Kriterium macht, an dem sich Professionalität messen, oder, wie die deutschen Freunde so gerne sagen, „festmachen“ lassen könne. Ich weiß, da baue ich mir aus rhetorischen Gründen einen Popanz auf, und so würde das niemand sagen, aber so ähnlich glaube ich es doch oft genug gehört zu haben.

Wie Fritz-Rüdiger zum Beispiel in seinen Überlegungen zur Gabe ausführt, begegnen einander Subjekte nicht nur in einem gesellschaftlichen Raum, sondern formen sich in diesem, konstituieren ihn und agieren mit Erwartungen und Erwartungserwartungen. Dieses Medium der Erwartungen und Erwartungserwartungen konstituiert dann auch die Möglichkeit, ja Notwendigkeit, vom Subjektstatus der Individuen vorübergehend abzusehen, um selbst Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Oder andersrum: die genervte Reaktion von manchen KollegInnen, wenn schon wieder jemand mit dem Subjekt daherkommt, könnte ja doch gute Gründe haben: Wir haben´s mit Leuten zu tun, und sind selbst welche, die ihr Leben selber führen müssen. Eh klar. Wissma, und wir können sie eh nicht daran hindern. Aber tun wir ganz einfach für eine Zeit so, als müsst uns das nicht interessieren, vielleicht kommen wir im Zuge dessen auf Zusammenhänge, die uns bisher durch diese emphatische und doch banale Betonung der Subjekthaftigkeit der Menschen verstellt waren. Hindert uns ja niemand daran, nachher wieder einmal mit unserer hermeneutischen Technologie des Verstehens einen Ausgleich zu schaffen.

Wissend, dass ich jetzt ungefähr 24 in diesem Zusammenhang unerlässliche Themen nicht angesprochen habe, überkommt mich nach diesen wenig geordneten Überlegungen die Lust darauf, mich wieder einmal genauer mit Dialektik zu beschäftigen, vielleicht im Zusammenschnitt mit der konstruktivistischen Systemtheorie. Und ein Kollege arbeitet an einer allgemeinen Theorie des Raumes, mit dem Schwerpunkt auf den Sozialen Raum. Mit ihm sollte ich ein Gespräch führen, begleitet vom einen oder anderen Glas Wein. Vielleicht über die Frage, ob das Subjekt den Raum konstruiert, oder der berühmte Beobachter aus der konstruktivistischen theoretischen Erzählung. Das kommt raus, wenn Fritz Rüdiger seltsame, unbeantwortbare Fragen stellt.