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Zahlt sich Beteiligung wirklich aus?

Beitrag, erschienen in "am wort" - Kommunale Kinder- und Jugendpolitik aktuell Nr.2/2000

Jugendliche haben heute ein anderes Verhältnis zu ihrer Herkunftsgemeinde als früher. In einer immer mobiler werdenden Gesellschaft tritt das Gemeinwesen, in dem man seine Wohnung hat, in Konkurrenz zu anderen Orten in erreichbarer Entfernung. Sowohl Arbeit als auch Freizeit können in der nahen Kleinstadt, in einem anderen Ort der Region verbracht werden. Für immer mehr Erwachsene wird der Wohnort zu einem Ort, wo in erster Linie geschlafen und das Familienleben gepflegt wird. Die Gemeinde repräsentiert nicht mehr die ganze Welt, in ihr finden sich nicht mehr alle Funktionen, nicht mehr das ganze Leben. Zum Einkaufen fährt man zwei Orte weiter in den Supermarkt mit dem größeren Angebot und den niedrigeren Preisen, das Sonntagsessen wird nicht mehr unbedingt im Dorfgasthaus eingenommen. Ähnliches gilt für die kleineren Städte. Der Aktionsraum der Bürgerinnen und Bürger ist größer geworden. Die Wahrnehmung dieser funktionalen Trennung führt auch zu anderen Ansprüchen an den eigenen Wohnort. Was mich stört, soll wo anders stattfinden, nicht in meiner Wohnumgebung. Der Raum ist groß genug, so scheint es.

Für manche Menschen – und die gehören nicht zu den Personengruppen, die viel Einfluss haben – ist der Raum allerdings eng. Sie besitzen kein Auto. Sie sind zu jung, zu arm, zu alt dafür. Sie haben zu wenig Geld. Wenn sie jung sind, haben sie nicht einmal eine eigene Wohnung, die sie gestalten und in die sie Freunde einladen können, in der nicht andere die Regeln setzen. Sie sind angewiesen auf den öffentlichen Raum, der für sie erreichbar ist. Und das ist die Gemeinde, die Stadtgemeinde. Ihre Straßen, ihre Infrastruktur, ihre Lokale und das (hoffentlich vorhandene) Jugendzentrum.

Es sind Lebensweisen und verschiedene Verständnisse von dem, wie der öffentliche Raum gestaltet sein soll und wer in ihm dominieren darf, die hier aufeinandertreffen. Wie wurde einmal bösartig formuliert? Unsere Orte und Städte sind nach den Bedürfnissen 40 bis 50-jähriger männlicher Auto- und Hundebesitzer gestaltet. Sie scheinen tatsächlich die durchschlagskräftigste Pressure-Group im kommunalen Bereich zu sein. Sind sie es wirklich?

Wenn sich die kommunalen EntscheidungsträgerInnen für Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entscheiden, dann gehen sie das Risiko ein, auch anderen Stimmen Gewicht zu geben. Stimmen ohne Wahlrecht, aber mit Zukunft. Eine mögliche Perspektive ist die, Kinder und Jugendliche mit den Entscheidungsprozessen der repräsentativen Demokratie vertraut zu machen, entsprechende Formen einzuüben, sie zu befähigen, ihre Anliegen mit Engagement zu formulieren, zu verhandeln, dabei auch andere Interessen zu berücksichtigen.

Die Gefahr, Jugendlichen dabei Enttäuschungen zu bereiten, ist allerdings gegeben. Politische Prozesse haben gravierende Nachteile. Unter anderem sind sie für Jugendliche oft zu langsam. Der zeitliche Abstand zwischen den eigenen Aktivitäten und einem möglichen Erfolg ist mitunter zu groß. Jugendliche bei der Gestaltung des öffentlichen Raums mitreden zu lassen (zum Beispiel bei der Errichtung einer Halfpipe für die Skater) wird dann kontraproduktiv, wenn der Entscheidungsprozess und die Umsetzung zwei Jahre benötigen. Jene Jugendlichen, die sich das wünschten, sind dann schon längst mit etwas anderem beschäftigt, das Gerät wird kaum benützt und die Enttäuschung auf allen Seiten ist groß. Erfolgreiche Mitbestimmung von Jugendlichen fördern und zulassen heißt also, Möglichkeiten für schnelle Ergebnisse eröffnen.

Der Erfolg sollte dann ein mehrfacher sein: Die Halfpipe (um bei diesem Beispiel zu bleiben) wird tatsächlich benutzt, die engagierten Jugendlichen sehen einen handgreiflichen Erfolg. Sie gewinnen das Gefühl, dass auch sie und ihre Bedürfnisse zählen. Sie haben mit Verantwortlichen verhandeln können und wurden respektiert. Sie sind keine "Ausgestoßenen" mehr.

Mittelfristig heißt das, dass ihre Identifikation mit dem Gemeinwesen steigt. Der Gewinn ist eine bessere Integration der Jugendlichen in die demokratische Gesellschaft, eine geringere Gefahr antisozialer Haltungen.

Angesichts solcher Vorzüge von Partizipation sollte man meinen, dass Beteiligung zu den "üblichen Veranstaltungen" in der Kommunalpolitik zählt, dass sich Werbung dafür erübrigen sollte. Dem ist aber nicht so, und auch das aus guten Gründen. Es haben nämlich sowohl die Jugendlichen als auch die PolitikerInnen etwas zu verlieren dabei: Zeit und Vertrauen. Beteiligung, die wie oben beschrieben auch kurzfristige Erfolge zeitigt, muss mit Interessenskonflikten rechnen und deren Offenlegung in Kauf nehmen. Zwischen den Anrainern, die Ruhe und Ordnung haben wollen, und den Jugendlichen, die den öffentlichen Raum für ihre Interessen nutzen wollen zum Beispiel. Wenn die "Sieger" dieses Konflikts von vornherein feststehen, ist der Frust der Jugendlichen vorprogrammiert, die erhoffte integrative Wirkung der Parizipationsmodelle wird ausbleiben, ja sich vielleicht sogar in ihr Gegenteil verkehren. Diese Gefahr dürfte etwas geringer sein, wenn die Partizipation selbst stark formalisiert ist und von den Kindern und Jugendlichen verlangt, dass sie sich an einem längeren Prozess beteiligen, in dem sie ihre Anliegen formulieren können. Solche Modelle haben aber den Nachteil, dass sie jene Gruppen und Individuen von vornherein eher ausschließen, die nicht die nötige Geduld und das Grundvertrauen in das Gemeinwesen aufbringen. Gerade jene Jugendlichen machen aber i.d.R. die größeren "Probleme" in der Gemeinde, mit ihnen gibt es mehr Konflikte, weil sie sich in ihren Meinungsäußerungen nicht auf die akzeptierten Kanäle beschränken können und wollen, weil sie dazu neigen, sich öffentlichen Raum zu nehmen, auch wenn er ihnen nicht zugestanden wird.

Diese Jugendlichen, die möglicherweise hin und wieder auch unangenehme Begegnungen mit der Gendarmerie haben, mögen nicht die ersten sein, an die man bei Beteiligungsmodellen denkt. Gerade sie sind aber lohnende Zielgruppen, vielleicht weniger für ein Kinder- und Jugendparlament oder eine Zukunftswerkstätte (zumindest nicht sofort), aber zum Beispiel für eine Podiumsdiskussion aus aktuellem Anlass mit VertreterInnen aller Konfliktpartner. Jugendzentren (eigene oder nahegelegene) können bei der Organisation und Durchführung sicher beratend helfen.

Beteiligung, also gelebte Demokratie, muss heute vor allem achten, dass jene einbezogen werden, die von den traditionellen repräsentativen Strukturen leicht übersehen und deren Interessen gering geschätzt werden. Gerade sie hängen – unter anderem wegen ihrer eingangs erwähnten geringeren Mobilität und ihres kleineren finanziellen Spielraums in hohem Maße von der Qualität und Toleranz des Gemeinwesens ab. Auf sie zuzugehen bedarf manchmal der Moderation durch ExpertInnen. Soziale Gemeinwesenarbeit, professionell geführte Jugendzentren und Streetwork können dabei entscheidend helfen, wenn man sie lässt. Und wenn sie mit dafür ausgebildetem Personal – in der Regel also diplomierten SozialarbeiterInnen – besetzt sind. Die Kommunalpolitik kann dadurch mittelfristig nur gewinnen. Auch wenn es vorerst unangenehm sein mag, sich Konflikten zu stellen.