Texte

Historisierung als Bewältigungsstrategie

2002/03 führte die FH St. Pölten / Soziale Arbeit in den 3 vom Hochwasser 2002 stark betroffenen Gemeinden Grafenwörth, Kirchberg und Königsbrunn ein Gemeinwesenprojekt durch. Ziel war, der kollektiven Traumatisierung mit sozialarbeiterischen Mitteln zu begegnen. In Vorbereitung einer Ausstellung zum ersten Jahrestag des Hochwassers wurden Erzählungen und Fotos gesammelt, zahlreiche Gespräche mit BürgerInnen geführt und schließlich mit der Herausgabe einer Bildchronik zur Historisierung des Geschehens beigetragen.

Das Projekt, dessen Konzept von Gertraud und Peter Pantucek stammte, wurde unter Leitung von Gertraud Pantucek unter Verwendung von Mitteln der ORF-Hochwasserhilfe und in Zusammenarbeit mit der Diakonie Österreich durchgeführt.

Die Wiederveröffentlichung des Abschlussberichts erfolgt 2010 auf der Website pantucek.com, da das Konzept und die Erfahrungen weiterhin für zeitlich begrenzte Projekte der Gemeinwesenarbeit u.E. von großem Interesse sind.

Zitationsvorschlag:

Pantucek, Gertraud / Pantucek, Peter (2003): Historisierung als Bewältigungsstrategie. Gemeinwesenprojekt Hochwasserhilfe Grafenwörth, Kirchberg, Königsbrunn – Abschlussbericht. http://www.pantucek.com/soziale-arbeit/texte/222-historisierung-als-bewaeltigungsstrategie.html, abgerufen am xxxx. St. Pölten.

 

Historisierung als Bewältigungsstrategie:
Gemeinwesenprojekt Hochwasserhilfe

Grafenwörth – Kirchberg – Königsbrunn

Abschlussbericht

St. Pölten, 2003

 

Gertraud Pantucek / Peter Pantucek

 

1. Die Ausgangslage

Die Hochwasserkatastrophe vom August 2002 hat die drei niederösterreichischen Gemeinden an der Einmündung des Kamp in die Donau schwer getroffen. In 9 Orten wurden Häuser, Gärten und landwirtschaftliche Flächen überflutet. Die materielle Hilfe lief sofort an und die außerordentlich hohe Spendenbereitschaft der österreichischen Bevölkerung ermöglichte quantitativ und qualitativ gute Resultate dieser Hilfe. Unterstützung bei individuellen Traumatisierungen kam von den Notfallsteams. Das Gemeinwesenprojekt Hochwasserhilfe Grafenwörth – Kirchberg – Königsbrunn (in der Folge: Gemeinwesenprojekt) konnte auf dieser Vorarbeit aufbauen. Sein Fokus war, wie die Hochwasserereignisse und die darauf folgenden Hilfeleistungen das gesellschaftliche Leben und die Kommunikation in den betroffenen Gemeinwesen beeinflusst hatten und wie kollektive „Verletzungen“ geheilt werden können. Die Ausgangsannahme war, dass ein so schwerwiegendes Ereignis nicht spurlos an den Strukturen kollektiven Bewusstseins und demokratischer Selbstverwaltung vorbeigeht. Was diese Spuren genau sind, musste sich im Arbeitsprozess selbst herausstellen. Rückblickend betrachtet kann die Ausgangslage kurz so skizziert werden: Die betroffenen Gemeinden und Orte haben ihren Ressourcen und der Stärke ihrer jeweiligen Strukturen entsprechend die Ereignisse sehr unterschiedlich bearbeitet bzw. bewältigt. In allen Gemeinden zeigte sich bereits im Vorfeld der Etablierung des Gemeinwesenprojekts ein noch beträchtlicher Bedarf an Kommunikation über die Erfahrungen. Diesbezügliche Angebote waren hoch willkommen. Zahlreiche BürgerInnen waren zwar nicht im engeren Sinne traumatisiert, fühlten sich aber durch das Krisenmanagement oder die Organisation der Hilfe benachteiligt, verletzt, und wünschten, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wie sich bald herausstellte, war eine Ortsgemeinschaft davon in besonderem Maße betroffen und hatte sich in eine schwierige Isolation begeben. In diesem Ort waren auch die Strukturen der Bürgerbeteiligung (v.a.: die Freiwillige Feuerwehr) schwer in Mitleidenschaft gezogen.

2. Das Konzept

Das Gemeinwesenprojekt war methodisch darauf ausgerichtet, die Gemeinwesen bei einer Bewältigung und Historisierung der Hochwassererfahrung behilflich zu sein, also „Geschichte zu konstruieren“. Es ging davon aus, dass die zahlreichen individuellen Erzählungen und Bilder zu einem facettenreichen, aber doch gemeinsamen Bild zusammengefasst werden sollten, das in drei Formen zugänglich sein sollte:

  1. Eine Ausstellung zum Jahrestag des Hochwassers
  2. Eine Bildchronik, also ein Buch über die Ereignisse, das in den Kommunen weite Verbreitung finden soll
  3. Ein abschließendes Ritual, möglichst in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausstellung
  • Das zentrale Anliegen des Projekts war es, die Gemeinden dabei zu unterstützen, das Ereignis in die Gemeindegeschichte integrieren zu können. Also: Übergang von aktueller Streit- und Trauerkultur zu einer Kultur des (distanzierteren) Erzählens.
  • Dazu waren alle Mittel recht, die ein Ereignis historisieren können:
    • individuelle Erzählungen (in den Sprechstunden, beim informellen Gespräch am Rande von Veranstaltungen, Sitzungen etc.)
    • gemeinsame Erzählungen von Gruppen (in Sitzungen mit Feuerwehren, Gemeinderäten, BürgerInnen etc.)
    • Sammeln, Beachten, Veröffentlichen der individuell gestalteten Dokumentationen (Fotos, Diavorträge, Videofilme)
    • Gestalten eines Rituals, das den Übergang von der Phase der aktuellen Bearbeitung zur Phase, in der das Ereignis ein Historisches ist, markiert (Ausstellung, Reden zur Ausstellung)
    • „Fasslich-Machen“ des Ereignisses (Bildchronik in Buchform)
  • Mediatives Vorgehen bei den Konflikten, die sich um das Hochwasserthema ranken.
    • Einsatz sozialarbeiterischer Techniken der Mediation:
      • Respekt und Interesse für alle Standpunkte zeigen
      • Das Vertrauen aller Konfliktpartner gewinnen
      • Allen Seiten, vor allem den „Verletzten“ und Benachteiligten, Raum für ausführliche Darstellung ihrer Lage geben (inklusive solcher wenig produktiver, aber subjektiv nützlicher Formen wie Selbstmitleid, Schuldzuweisungen etc.)
      • Zeichen der Erschöpfung bei den Konfliktparteien für Ermutigung zur vorsichtigen Wiederaufnahme der Kommunikation mit den Konfliktgegnern nutzen
      • Coaching aller Konfliktgegner soweit möglich unter Ausnützung der eigenen nicht-involvierten Position
      • Gezielter und maßvoller Einbezug der Ausgeschlossenen und ihrer Selbstdarstellungen in die gemeinsamen Inszenierungen (z.B. Ausstellung)

Teil des methodischen Konzepts war auch der Verzicht darauf, sich selbst als ExpertInnen zu inszenieren.

Es sollten Sprechstunden eingerichtet, gleichzeitig der Kontakt zu Organisationen der Zivilgesellschaft in den Orten gesucht werden. Das Vorhandensein von Konflikten, aber auch von individueller und kollektiver Verbitterung war als Möglichkeit vorbedacht. Der methodische Zugang, der in erster Linie durch ein Interesse an den Sichtweisen der Betroffenen gekennzeichet war, sollte die Bearbeitung dieser Probleme ermöglichen.

In Zusammenhang mit den Vorbereitungsarbeiten sollte es auch möglich sein, für besonders Betroffene individuelle Hilfen zu organisieren.

Dieses Konzept stellte in mehrerlei Hinsicht eine Innovation dar. Es war eine Innovation im Vergleich zu den üblichen, erfolgreichen Formen der Katastrophenhilfe, weil es nicht auf die Unterstützung bei der Beseitigung von Sachschäden und auch nicht auf individualisierende psychologische Hilfe ausgerichtet war. Es zielte auf die Stärkung von lokalen Gemeinschaften. In Bezug auf die geläufigen Konzepte von Gemeinwesenarbeit war es innovativ, weil es von vornherein eine relativ eng begrenzte Einsatzzeit vorsah und thematisch eng fokussiert war. Wir bezeichnen es als Konzept einer anlassbezogenen Gemeinwesen-Kurzintervention.

3. Der Projektablauf

11-02 – 1-03: Bedarfsanalyse, Kontakte mit den Gemeinden, Ausdehnung auf 3 Gemeinden (ursprünglich war nur eine vorgesehen), Wunsch nach Projektdurchführung wird bei einer Gemeindekonferenz bestätigt

2- 03: Beginn: Anstellung der MitarbeiterInnen, Einführung in das Projekt, Sichtung der Betroffenheit und der Auswirkungen, Erstellen eines Folders mit den Angeboten

3-03: Vorstellung in den 3 Gemeinden, Bürgerversammlung in Altenwörth, Installierung von Sprechstunden, Aufteilung von Schwerpunktthemen (GWA-Arbeit, Spendenvergabe, Hochwasserschutz, Einzelfallhilfe), Kontakt zu Hr. Grill – Video über HW, Eingliederung von 2 Langzeitpraktikanten

4-03: viele Einzelgespräche mit Betroffenen, Funktionsträgern (Bürgermeistern, Ortsvorstehern) und ExpertInnen (FF, Caritas, Akutteam), Teilnahme an Vorträgen zum Thema, erste persönliche Berichte werden abgegeben, Ausstellungsgestalter wird engagiert

5-03: Beginn der Fotosammlung, Ortsbegehungen in den betroffenen Gemeinden, Beginn der aktivierenden Gespräche mit ausgewählten Personen je Gemeinde, Kontakt zu HW-Planungsbüro, Abklärung von Härtefällen und Sonderunterstützungen und Erholungsurlauben, Konzeption der Bildchronik und Einladung an Fachexpertinnen, Artikel dazu zu schreiben

6-03: Teilnahme an einem Pfarrcafe, weitere aktivierende Gespräche, Höhepunkt der Fotosammlung (insgesamt mehr als 10.000 von ca. 50 Einzelpersonen und von Organisationen wie FF und Bundesheer), 10 Tiefeninterviews mit Schlüsselpersonen und mit den Bürgermeistern, Gespräche mit FF Winkl, ab 6-03 werden in Winkl die Sprechstunden intensiv genutzt. Sichtung und Sortierung der Fotos für die Ausstellung. Weitere Abklärung von Härtefällen, viele Hausbesuche, Gespräche wegen Bildchronik

7-03: Teilnahme an FF-Festen, Vorbereitung der Ausstellung, Regiearbeiten und Zusammenschnitt des Videos, Erstellen der Begleittexte für die Ausstellung (13 Ständer, beidseitig, regionale Themen und Spezialthemen)

8-03: Pressekonktakte (NÖN, Radio NÖ), Ausstellung am 15.8. (130 BesucherInnen bei der Eröffnung durch Fr. Bezirkshauptmannstellvertreterin, div. Reden von ProjetkmitarbeiterInnen), insgesamt 395 BesucherIinnen in einer Woche; intensive Kontakte zu Betroffenen 

während der Ausstellung: Vortrag von Hr. Kräuterpfarrer Weidinger (72 BesucherInnen) und Diavortrag von Hr. Puttenhauser / Heimatforscher (43 BesucherInnen)

Abbau und Übersiedlung der Ausstellung, Arbeit an der Bildchronik

9-03: Weitere Einzelfallhilfe, 2. Ausstellungseröffnung in Grafenwörth im Rahmen eines Musikfestes und der Neueröffnung des Sportplatzes; 408 AusstellungsbesucherInnen, Arbeit an der Bildchronik

10-03: Fertigstellung der Bildchronik, Einzelfallhilfe, Abschluss der Konfliktbearbeitung in Winkl, Vorbereitung der Buchpräsentation im November in Bierbaum, Winkl und im Dezember in Grafenwörth. Teilnahme an einer GWA-Tagung in Wien

11-03: Buchpräsentation, (98 TeilnehmerInnen in Winkl, ca. 230 TeilnehmerInnen in Bierbaum), Abschlussbesprechung mit Interessierten aus den Gemeinden, Projektabschlussbesprechung und Auswertung.

12-03: Buchpräsentation in Grafenwörth

4. Die Ergebnisse

  • Kollektive Aufarbeitung eines Traumas

Die geplante Ausstellung sollte zum Bezugspunkt aller Aktivitäten werden. Die Konzentration auf die Ausstellung brachte methodisch eine Serie von Vorzügen: Die Betroffenen waren aufgerufen, für diese Ausstellung und die Bildchronik ihre Erzählungen, ihre Fotos und Dokumente zur Verfügung zu stellen. Dieser Bezugspunkt war nicht-pathologisierend und ermöglichte allen, ihre eigenen Geschichten (darunter viele Leidensgeschichten) einzubringen, ohne sich selbst als „hilfsbedürftig“ oder „traumatisiert“ darstellen zu müssen. Ausstellung und Bildchronik waren sowohl für die Aktiven, als auch für die Zurückgezogenen ein attraktiver Rahmen, um ihre eigenen Geschichten und ihre Bilder einzubringen. Man war durch die Teilnahme an den Vorbereitungen nicht stigmatisiert.

Die intensive Beteiligung der Betroffenen an der Geschichten- und Bildersammlung bestätigte das Konzept (Details dazu sh. Pkt. 3). Tatsächlich gelang es, mit der Ausstellung (und den dazugehörigen ortsbezogenen Texten), die Erzählungen zusammenzuführen. Das rege Interesse der Betroffenen an der Ausstellung bestätigte den Erfolg dieses Prozesses. Es waren nicht nur die BesucherInnenzahlen, die dies anzeigten, sondern auch die Art und Weise, wie die BesucherInnen die Ausstellung nutzten: Sie kamen in Gruppen, studierten die Tafeln genau und diskutierten sie.

Glanzstück der Arbeit des Gemeinwesenprojekts war der Umgang mit einem schwer betroffenen Ort. Dort konnte allmählich das Vertrauen der kollektiv verstörten Bevölkerung gewonnen werden, die sich gegen außen abgekapselt hatte. Die MitarbeiterInnen des Gemeinwesenprojekts bekamen umfangreiches Videomaterial zur Verfügung gestellt, das sorgsam zu einem eindrucksvollen Video zusammengeschnitten und bei der Ausstellung gezeigt wurde. Begleitet von zahlreichen Gesprächen mit VertreterInnen des Dorfes und den Konfliktgegnern konnten Verhärtungen gelöst und die Voraussetzungen für eine Entspannung geschaffen werden. Der respektvolle Umgang mit den Betroffenen ermöglichte, sie wieder in die regionale Gemeinschaft hereinzuholen. Das Schicksal und die Sichtweise der Bevölkerung wurde in der Ausstellung und in der Bildchronik prominent präsentiert und machte bei den BesucherInnen auch einen nachhaltigen Eindruck. Offensichtlich wurde so ein wesentlicher Beitrag zur Wiederherstellung von „Ehre“ und Verständnis geleistet – was von den DorfbewohnerInnen auch so gesehen wurde. Am Ende des Projetks stand die Bereitschaft einiger ExponentInnen des Dorfes, sich auch Erholung zu gönnen (und ein diesbezügliches Angebot der Diakonie anzunehmen): Ein wesentlicher Schritt nach der Angestrengtheit, mit der der Konflikt geführt worden war. Das begleitende Angebot von Einzelberatung während des Projetkverlaufs war vor allem in diesem Ort wichtig. Wegen der nicht-pathologisierenden Ausrichtung des Gesamtprojekts konnte dies auch von den Betroffenen gut angenommen werden.

Die Orientierung auf Ausstellung und Bildchronik ermöglichte mediative Vorgangsweisen. Der Diskurs über die ortsbezogenen Begleittexte zu Ausstellung und Chronik wurde vielfach zu einem Verständigungsprozess über eine gemeinsame Sichtweise.

Die angestrebte Historisierung der Hochwassereignisse kann als gelungen betrachtet werden. Wie aus zahlreichen Äußerungen von BewohnerInnen hervorgeht, sahen sie die Ausstellung und die Publikation der Bildchronik als Schlusspunkt unter eine Phase, in der das Gemeinwesen von der Katastrophe und ihren Nachwirkungen dominiert war. Nun kann diese Erfahrung (in Form der Bildchronik) „ins Buchregal gestellt“ werden: Sie geht nicht verloren, aber sie ist auch nicht mehr der wichtigste Bezugspunkt des Gemeindelebens.

Als Ritual erfüllte die Eröffnung der Ausstellung in Kirchberg die angestrebte Funktion. Die Eröffnung durch den Bürgermeister, die Reden der ProjektmitarbeiterInnen, der Bezirkshauptmann-Stellvertreterin und des Vertreters der Diakonie wurden vom Publikum mit Aufmerksamkeit verfolgt, die gesamte Veranstaltung war von einer gewissen Feierlichkeit getragen. In Grafenwörth gelang dies durch die Verbindung mit dem Ortsfest – hier konnte an starke lokale Ressourcen zur Krisenbewältigung angeknüpft werden.

  • Individuelle Aufarbeitung eines Traumas

Die Beiträge des Gemeinwesenprojekts zur individuellen Traumabewältigung können nur schwer beziffert werden, waren aber zweifelsohne in großem Ausmaß vorhanden. Zahlreiche Personen nutzten die Aussprachemöglichkeiten, um ihre Erzählungen in immer neuen Varianten vorzubringen. Sie genossen die respektvolle Aufmerksamkeit der MitarbeiterInnen. Besonders hervorzuheben ist die auf Winkl fokussierte Beratungsarbeit der Psychologin des Projekts. Auch für ihre Arbeit war die nicht-defizitorientierte und nicht-pathologisierende Ausrichtung des Projekts förderlich.

  • Herstellen von Nachhaltigkeit

Hier können zwar vorerst nur Vermutungen angestellt werden, die oben dargestellten Ergebnisse lassen jedoch auf eine Nachhaltigkeit der erzielten Fortschritte hoffen. Eine Konsolidierung der zivilgesellschaftlichen Strukturen im besonders betroffenen Ort Winkl war beobachtbar, die individuellen Verarbeitungsprozesse waren bei den meisten Betroffenen unter anderem durch die Arbeit des Projekts bereits weit gediehen. Die Bildchronik als Symbol für die Historisierung des Geschehens wird in den betroffenen Gemeinden gut angenommen.

  • Aktivierung von Gemeinwesenressourcen

Das Projekt zielte auf die Stärkung vorhandener, die Förderung der Selbstreorganisation beschädigter Gemeinwesenstrukturen. Dies gelang durch die Einbeziehung der selbstständigen Dokumentationstätigkeiten von Organisationen (Feuerwehren, Gemeinden) und Einzelnen (Dorfchronisten, Fotografen, ErzählerInnen und Filmer) und die Zusammenführung dieser Beiträge. Fokussiert auf Ausstellung und Bildchronik wurden die Arbeiten der Einzelnen, der zivilgesellschaftlichen Organe der Selbstorganisation und der Behörden und offiziellen Stellen zusammengeführt. Im Ergebnis der Projektarbeit konnte eine wesentliche Reduktion von Konflikten und noch mehr von Kommunikationsblockaden zwischen den AkteurInnen im Gemeinwesen erreicht werden.

5. Die Erfahrungen

  • Methodik
    • Ausrichtung auf Ausstellung und Bildchronik: Diese Grundlinie des Konzepts erwies sich als absolut richtig und die (ungewöhnlichen) Investitionen in Ausstellungsgestaltung und Buchproduktion waren nicht nur unumgänglich, sondern lohnten sich auch und schlugen sich im Ergebnis nieder, das weitgehend den angestrebten Zielen entsprach.
    • Mediative Aspekte: Wie erwartet war das Gemeinwesenprojekt, einmal in näheren Kontakt zu den Orten und Gemeinden gekommen, mit einigen teils verbittert verfolgten und eskalierten Konflikten konfrontiert. Hier muss noch einmal auf die Fokussierung auf Ausstellungs- und Buchproduktion hingewiesen werden: Dadurch wurde eine Form der Mediation möglich, die auf einem alternativen Terrain eine symbolische Bearbeitung der Konflikte ermöglichte und mediatives Vorgehen entschieden erleichterte. Das Bereitstellen einer symbolischen Arena zur Darstellung persönlicher Betroffenheit und der je individuellen Sichtweise des Geschehenen erwies sich auch hier als produktiv. In dramatischeren Zusammenhängen und mit einer dementsprechend auch dramatischeren Arena kennen wir die südafrikanischen „Wahrheitskommissionen“ als Mittel für die Historisierung von Konflikten und die Inszenierung von Respekt für die Betroffenen. Die Methodik des Gemeinwesenprojekts unterschied sich davon nicht grundsätzlich, nur in der dem Anlass angemesseneren weniger dramatischen Form.
    • Einbindung der Betroffenen: Die angestrebte und für Gemeinwesenarbeit typische Einbindung von Betroffenen gelang in einem zufriedenstellenden Ausmaß. Obwohl die bereits vorhandenen lokalen sozialen Strukturen von sich aus bereits einiges leisten konnten und auch leisteten, konnten durch das Projekt weitere Personen eingebunden werden, die keine enge Verbindung zu den vorhandenen integrierenden Systemen haben. Hier half die Mehrdeutigkeit (Ambivalenz) des Projekts, das gleichermaßen als unterstützendes Sozialprojekt, wie als soziokulturelles Projekt auftrat. Das Angebot, auch für jene zur Verfügung zu stehen, die sich von den normalen Unterstützungsstrukturen übervorteilt fühlten wurde genützt und brachte Kontakte zu relativ isolierten Personen. Über die Ausrichtung an der Ausstellung und der Chronik wurden deren Erfahrungen wiederum in eine Gesamtaktivität des Gemeinwesens eingebunden. Damit wurde mehr geleistet, als reine individuelle Problembearbeitung leisten hätte können, deren unerwünschter Begleiteffekt immer wieder die Unterhöhlung lebensweltlicher Einbindungen ist.
    • Die oben beschriebene Ambivalenz in der Präsentation und in der Tätigkeit des Projekts fordert von den MitarbeiterInnen die Fähigkeit, sich auf das Gemeinwesen einzulassen und gleichzeitig Distanz zu bewahren, sich interessiert und respektvoll gegenüber den Strukturen wie gegenüber auch jenen Personen zu zeigen, die in diese örtlichen Strukturen nicht eingebunden sind oder ihnen sogar skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Diese hohe Anforderung an die MitarbeiterInnen wird durch den klaren Projektstatus erleichtert, der allerdings durch sehr verbindliches Auftreten „entschärft“ werden muss.
  • konkurrierende Themen
    • Das Bezugsthema (hier: Hochwasser) hat große Kraft. Es zieht Aufmerksamkeit an sich, und es ist/war scheinbar ein Sachthema, eines, das nicht unmittelbar mit den Menschen zu tun hatte oder damit, wie die ihr Gemeinwesen gestalten, sondern mit Natur, Schicksal. In zweiter Linie und im Effekt dann aber auch mit Schuldzuweisungen.
    • Das Thema der GWA ist eigentlich nicht das Hochwasser, sondern das Funktionieren des Gemeinwesens. Es war auch für die MitarbeiterInnen schwer, dieses GWA-Thema immer im Blickfeld zu behalten. Die Verführung war groß, sich von AkteurInnen „überzeugen“ zu lassen und mit ihnen angestrengt über Fragen des Hochwasserschutzes zu diskutieren.
  • Besonderheiten der ländlichen Struktur

· Das Projekt musste nicht erst (wie aus der Arbeit in Stadtteilen bekannt) Identitätsstrukturen aufbauen, die waren überreich vorhanden: Dorf/Gemeinden/Vereine. Sichtbar waren Konflikte in und zwischen verschiedenen sozialen Strukturen.

· In den Dörfern und Gemeinden gibt es im Gegensatz zum Stadtteil dichte Strukturen legitimer Führung, aber auch der Partizipation. Die Gemeinwesenarbeit muss hier also nicht ergänzend Strukturen aufbauen. Dies wurde auch sorgsam vermieden und eine Institutionalisierung der Gemeinwesenarbeit wurde auch nicht in betracht gezogen.

  • Personal
    • Das Projekt war personell durchwegs mit Fachkräften besetzt. Als Projektleiterin wurde eine Sozialarbeiterin und Sozialanthropologin bestellt, das Team bestand aus einem Sozialarbeiter/Soziologen, einem Sozialarbeiter, einer Sozialarbeiterin und einer Psychologin. Während 4 Monaten nahmen auch zwei Studenten des Studiengangs Sozialarbeit an der FH St.Pölten an der Arbeit des Teams teil. Die Leiterin hatte eine Verpflichtung von 15 Wochenstunden, die MitarbeiterInnen insgesamt 60 Wochenstunden.
    • Im Verlauf stellte sich heraus, dass das thematisch ausgerichtete Gemeinwesenarbeitskonzept im ländlichen Raum eine intensive Präsenz der MitarbeiterInnen erfordert. Die Bevölkerung der Gemeinden war mit dem Thema intensiv beschäftigt und das Bedürfnis nach Darstellung der eigenen Erfahrungen, der je eigenen Beiträge und nach Bearbeitung und Verarbeitung des Geschehens war groß. Zuhören, das Erweisen von Respekt vor den Strukturen des Gemeinwesens waren unerlässliche Voraussetzungen für das Setzen von unterstützenden Interventionen. Die MitarbeiterInnen mit bloß 10-stündiger Verpflichtung hatten Schwierigkeiten, die nötige Intensität des Kontakts mit dem Gemeinwesen herzustellen.
    • Gerade in Gemeinwesen – und möglicherweise vor allem bei so emotional differenziert aufgeladenen Themen wie der Aufarbeitung einer Katastrophe – spielt die Personalisierung des Interventionskonzepts eine große Rolle. Seine Intentionen sind notwendigerweise auf einer relativ abstrakten Ebene formuliert, da die Detailstruktur der Probleme erst langsam im Laufe der Arbeit sichtbar werden kann. Umso wichtiger ist es für die BewohnerInnen, dieses Konzept in einer Person verkörpert zu sehen, zu der persönliches Vertrauen aufgebaut werden kann. Vorzugsweise ist dies die Projektleiterin. Diese besondere Funktion der Projektleiterin fordert von ihr auch einen besonderen persönlichen Einsatz. Es zeigte sich, dass die Stundendotierung hier eindeutig zu niedrig angesetzt war. Der nötige Arbeitseinsatz lag deutlich über der bezahlten Marke von 15 Wochenstunden. Die ungleich höhere Verantwortung der Projektleitung für Gesamtablauf und Gelingen des Projekts fand in der Bezahlung keinen angemessenen Niederschlag.
    • Die Besetzung des Teams mit vorrangig SozialarbeiterInnen erwies sich als richtig. Sie konnten sich in den offenen Settings gut bewegen, was ihrer Qualifikation entspricht. Die Psychologin konzentrierte sich erwartungsgemäß eher auf beratende Einzelsettings und leistete dabei einen wertvollen ergänzenden Beitrag.
    • Als schwierig erwies es sich, den MitarbeiterInnen das sehr anspruchsvolle Konzept so nahezubringen, dass sie es auch selbstständig umsetzen können. Der Bedarf nach einer dichteren Anleitung (etwa durch ausführlichere wöchentliche Teamsitzungen) war gegeben, konnte durch die Beschäftigungsstruktur (Teilzeitarbeit) aber nur rudimentär umgesetzt werden.
    • Die Einbindung von Praktikanten erwies sich als durchgehend bereichernd und positiv.
    • Schlussfolgerungen für weitere ähnliche Projekte:
      • Besetzung vorrangig mit SozialarbeiterInnen soll beibehalten werden, wobei PsychologInnen, PolitikwissenschafterInnen etc. mit geringerer Stundenanzahl für ergänzende und begleitende Aufgaben einbezogen werden können/sollen.
      • Die zentralen Personen, die das Projektkonzept tragen, sollten mit einer höheren Stundenverpflichtung angestellt werden.
      • Für die interne Kommunikation des Kern-Projektteams (jene Personen, die Gemeinwesenarbeit im engeren Sinne machen) sind ausreichende Zeitressourcen einzuplanen.
      • Die Entlohnung der Fachlkräfte ist stärker nach Verantwortung zu differenzieren. Für die Projektleitung ist zusätzlich abzugelten, dass für sie der Arbeitseinsatz nicht durch eine vorweg festgesetzte Zahl an zu leistenden Arbeitsstunden strukturiert werden kann, sondern den Erfordernissen entsprechend flexibel anzupassen ist. Dies erfordert von ihr hohe Flexibilität und eine hohe Identifikation mit dem Projekt und seinen Zielen.
  • Die Wahrnehmung des Projekts in der weiteren Öffentlichkeit war naturgemäß geringer als bei Hilfseinsätzen, die zeitlich in größerer Nähe zur Katastrophe angesiedelt waren. Trotzdem sicherten Ausstellung und Bildchronik eine Präsenz in den lokalen und regionalen Medien, die durchwegs positiv war. Entgegen Befürchtungen in der Phase der Diskussion über die Bewilligung der erforderlichen Mittel gab es auf keiner Ebene, in keinem Medium, und auch nicht in der lokalen nichtmedialen Öffentlichkeit jemals Zweifel am adäquaten Einsatz der Spendengelder.
  • Die Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen gestaltete sich im Wesentlichen friktionsfrei bis sehr gut. Auch die anfangs vorhandene Skepsis von einzelnen MitarbeiterInnen des Akutteams konnte in Gesprächen geklärt werden.

6. Der Ausblick

Nach den Erfahrungen bei diesem Projekt können für künftige Gemeinwesenprojekte, die der Unterstützung kollektiver Bewältigungsprozesse dienen, folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:

  • Im Vordergrund hat nicht individuelle Hilfe, sondern die kollektive Bearbeitung des Traumas zu stehen. Für diese Fokussierung eignen sich die Organisation einer Ausstellung, die Herstellung einer Dokumentation oder ähnliches besonders gut.
  • Um die Wertschätzung für die individuellen Beiträge noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, wäre das Anlegen einer umfangreichen (kompletten) Datenbank der Erzählungen, Fotos, Dokumente etc. sinnvoll. Dafür müssten allerdings die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden: Software; Personal zur Eingabe; Webspace. Weiters müsste eine mittelfristige Finanzierung gesichert sein, um die Datenbank noch einige Jahre über das Projektende hinaus zugänglich zu erhalten. Allerdings darf angemerkt werden, dass die Kosten dafür ziemlich gering sind, an der FH St.Pölten könnten durch die partielle Einbindung der Studiengänge Telekommunikation und Medien sowie Medienmanagement weitere Ressourcen erschlossen werden.
  • Dem Personal muss eine Vorbereitungszeit zur Verfügung gestellt werden, um es auf die besondere Methodik des Projekts einzuschulen.

Einsatzmöglichkeiten der Methodik

Im Praxistest erwies sich der Einsatz nach Katastrophen, die das Gemeinwesen getroffen hatten, als ausgezeichnetes Einsatzgebiet für die oben dargestellte Methodik. Wir empfehlen weitere Projekte ev. auch bei kleinräumigeren Ereignissen als Alternative oder Ergänzung zu bloß individualisierend angelegten Projekten der Traumabewältigung. U.E. ist eine gezielte Aktivierung der Ressourcen der Gemeinwesen nach traumatisierenden Ereignissen ein erfolgversprechender Weg, der ohnehin im Übermaß vorhandenen Tendenzen zur Atomisierung wirkungsvoll entgegentreten kann und unerwünschte Nebenwirkungen des individualisierenden Einsatzes überregionaler Hilfsorganisationen minimiert.

7. Publikationen

Gertraud Pantucek / Peter Pantucek (Hg.): Hochwasser 2002: Grafenwörth – Kirchberg – Königsbrunn. Eine Bildchronik. St. Pölten (Sozaktiv) 2003.

Gertraud Pantucek / Peter Binder: Information und Katastrophe: Hochwasser – was nun? In: Gesellschaft zur Durchführung von Fachhochschulstudiengängen St.Pölten (Hg.): Facts I. Die Informationsgesellschaft. Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2003. S. 213-230.

 

DSA Maga. Gertraud Pantucek

DSA Mag. Dr. Peter Pantucek

FH St.Pölten

Nähere Informationen erhalten Sie bei Peter Pantucek Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Gertraud Pantucek Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!">