Der 2020 Krisenblog

Einundsechzigster und zweiundsechzigster Tag

Das dramatischste Ereignis meines heutigen Tages war ein Konflikt, den ich beobachten konnte. Ich war selbst in einer parkähnlichen Landschaft zu Fuß unterwegs, als hinter mir eine Nebelkrähe laut und aufgeregt krächzte. Ich blieb stehen, drehte mich um: Sie beschimpfte offensichtlich eine junge, in schwarz gekleidete Frau, neben der ein bulliger Hund trottete. Die Krähe flog sehr schnell von hinten auf die beiden zu, um sich dann im Sturzflug laut schreiend ihnen anzunähern. Aus der Entfernung schien es, als streifte sie beinahe Frau und Hund im Vorbeiflug mit ihren Flügelspitzen. Vergeblich versuchte die Hundeführerin, den Vogel durch heftige Armbewegungen zu verscheuchen, während der Hund unbeeindruckt schien. Die Angriffe wurden wiederholt, immer wieder steiler Anflug unter „Gebrüll“, und es hätte dazu gepasst, wenn die Krähe im Vorbeiflug mit ihrem Schnabel auf den Kopf der Frau oder des Hundes gehackt hätte. Das tat sie dann aber doch nicht. Erst als die beiden unter ständigen Attacken etwa 60 Meter zurückgelegt hatten, drehte die Krähe ab.
Ich nehme an, dass der Vogel einen guten Grund für diese Attacken hatte, trotzdem kamen Assoziationen zu Hitchcocks Klassiker „Die Vögel“ auf.
Das Bild der hageren jungen Frau in schwarz, die leicht nach hinten gebeugt mit ihren Armen wedelte, und der unbeeindruckt angreifenden Krähe prägte sich mir jedenfalls ein.
Wie es so ist mit starken Bildern, können sie allzu leicht als Metaphern missdeutet werden, zum Beispiel in diesem Fall als die Natur, die sich gegen das Eindringen der Menschen wehrt. So einfach ist es aber nicht. Die Natur steht den Menschen nicht gegenüber, sondern die Menschen sind selbst Bestandteil der sogenannten Natur. Wir sind Tiere, und das ist jetzt gar nicht abwertend zu verstehen. Und viele der anderen Arten haben ihre Lebensweisen, ihren Alltag, mit unserer Lebensweise, unseren Produkten und Abfällen verbunden. Wir leben zusammen, wobei es auch auf individueller Ebene zu Konflikten kommen kann – wie in diesem Fall.
Den Vorfall konnte ich nicht fotografieren oder filmen. Ihm sei etwas friedlicheres gegenübergestellt. Heckenrosen.
 
2025-11-25 um 16.19.40