Der 2020 Krisenblog

Dreizehnter Tag

Es ist Frühling, total! Neues Leben. Es blüht, gestern hatten wir nächtens die erste Sichtung eines Igels in diesem Jahr. Beinahe wäre er in unser Wohnzimmer gekommen, ich habe ihm gerade noch die Terrassentür vor der niedlichen Nase zugemacht. War besser so, für ihn und für uns.
Es wäre auch die richtige Zeit, um sich zu verlieben. Ich frage mich, ob unter diesen Umständen genügend neue Liebespaare entstehen können, wie wir sie für ein wohliges Klima der Mitmenschlichkeit brauchen. Eine Person kann sich ja in eine andere verlieben, aber wie will man das vorantreiben, ohne physische Kopräsenz? Und gibt es derzeit und in den nächsten Wochen überhaupt genügend Begegnungen mit Menschen, die man vorher nicht gekannt hat? Kann man jemanden kennenlernen, für den man sich sofort oder wachsend entflammt? Es würde mich sehr beruhigen, Geschichten von Neuverliebten zu hören, am besten von Heimlichverliebten, Kreuz- und Querverliebten, Existenzerschütterndverliebten. Als Zeichen, dass die Welt sich weiterdreht und dass die Menschen neue Wege des Zueinanderkommens finden. Ich bin optimistisch.
Zuletzt machte die Befürchtung die Runde, dass das „Blockwartewesen“ nun grantige Urständ feiern könnte. Gewiss: Figuren, die ihren Lebenssinn darin zu finden scheinen, ihre Mitbürger*innen zu beobachten und zurechtzuweisen, ev. gar bei der Polizei anzuzeigen, sind nicht sehr sympathisch.
Die Vorstellung, dass nur die Polizei legitimiert sei, die Einhaltung von Regeln des Zusammenlebens einzufordern, scheint mir jedoch abstrus bis gefährlich. Eine soziale Norm, deren Verletzung mir nur dann Nachteile bringt, wenn ich von der Polizei erwischt werde, ist weitgehend wirkungslos, es sei denn, wir hätten einen Polizeistaat und die Beobachtung durch die Polizei wäre sehr dicht. Das können wir nicht wollen.
Daher brauchen wir jene soziale Kontrolle, die die Bürger*innen ausüben, indem sie gegebenenfalls auch Mitbürger*innen zurechtweisen, wenn die sich nicht an Regeln halten. Auch wenn sie dabei riskieren, selbst angeschnauzt zu werden. Auch das ist meines Erachtens ein notwendiges Element eines freien Staatswesens und einer selbstbewussten Bürger*innenschaft. Ordnung und Sicherheit entstehen nicht durch die Anwesenheit von Polizei – im Gegenteil, die Anwesenheit der Polizei weist auf eine Gefährdung der Sicherheit hin, auf ein Versagen der Selbstorganisation der Bürger*innenschaft.
Das Gute an der Krise: Die Vollkornversion von Toastbrot ist beim Nahversorger unserer Wahl aus. Da freut sich der Herr Sohn.
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