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Bildung nach der Akademie.

Ein Rundgang durch eine sich rasch verändernde Landschaft.
Beitrag für "Sozialarbeit in Österreich", März 2003.

Peter Pantucek



Bildung nach der Akademie. Ein Rundgang durch eine sich rasch verändernde Landschaft.
Peter Pantucek


Das Schlagwort ist nicht neu, und es hört sich etwas bedrohlich an: Lebenslanges Lernen. Die Argumente sind ebenfalls bekannt: Der stetige, manchmal auch rasche Wandel der Aufgabenstellungen, der benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt.

Sozialarbeiterinnen, die ja einen spannenden Lebensberuf gewählt haben, können unter bestimmten Voraussetzungen mit einer interessanten Karriere rechnen. Ihr Aufgabengebiet werden sie mehrmals wechseln, wahrscheinlich auch ihren Arbeitgeber. Die Aussichten sind relativ gut:

„Die Beschäftigungsentwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen zeigt, dass dieser Wirtschaftssektor zu den am stärksten expandierenden Branchen zählt und dass sich diese Entwicklung – trotz Einsparungen im öffentlichen Sektor – auch in Zukunft fortsetzt. Die Qualifikationsentwicklung in den Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens weist in allen Unternehmensbereichen auf eine deutliche Tendenz in Richtung Höherqualifizierung. Die Volkszählung 1991 wies zwar in diesem Sektor eine deutlich niedrigere AkademikerInnenquote als in den übrigen Wirtschaftsklassen aus, jedoch weisen jüngere Daten und Untersuchungen auf Qualifikationszuwächse in den einzelnen Berufsgruppen hin.“ (Mairhofer 2002: S. 2)

Mir ist bewusst, dass diese Einschätzung der Gesamtsituation viele überraschen mag. Als SozialarbeiterInnen bewegen wir uns in einer kontinuierlich dynamischen Branche, deren weiteres Wachstum wahrscheinlich ist. Ebenfalls überraschungsfrei kann allerdings vorausgesagt werden, dass sich neue Aufgabenfelder entwickeln, während andere an Bedeutung verlieren werden. Prognosen sind zwar immer ein wenig riskant, aber im Randbereich zum Gesundheitswesen, bei der Etablierung einer neuen Form der Unterstützung älterer Menschen in einer alternden Gesellschaft, bei sozialraumorientierten Ansätzen könnten neue Handlungsfelder der Sozialarbeit entstehen. Charakteristisch für all diese Felder ist und wird sein, dass SozialarbeiterInnen in ihnen kein Monopol, keinen genau gegen andere Berufe abgegrenzten Arbeitsbereich haben werden. Sie werden ihre Arbeit interdisziplinär entwickeln müssen. Und sie werden während und neben der Arbeit dazuzulernen haben.

Derzeit lässt sich auch beobachten, dass sich die Grenzen zu den Nachbarberufen verwischen, ja dass neue Zugänge und Ausbildungen entstehen. Zumindest partiell eignen sich die Nachbarn sozialarbeiterisches Know-how an (oft ohne zu wissen, von wo das kommt). Will man in der Sozialen Arbeit die langen Jahre seines Berufslebens interessante Aufgaben haben, kommt man heute nicht mehr ohne regelmäßige Weiterqualifizierung aus. Die von den Dienstgebern angebotenen Fortbildungen sind da zwar nützlich, letztlich aber zu wenig.

Lange Zeit waren die Möglichkeiten der SozialarbeiterInnen, sich über die Basisqualifikation hinaus in ihrem Beruf zu qualifizieren relativ beschränkt. Wollten sie zu höheren akademischen Abschlüssen kommen, mussten sie die Disziplin wechseln. Ihr Akademieabschluss zählte dabei so gut wie nichts. Die benachbarten Disziplinen Pädagogik und Soziologie, aber auch Jus, waren die beliebtesten Fächer für ehrgeizige Kolleginnen und Kollegen. Spätestens seit Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes ermöglichten die Psychotherapieausbildungsgänge eine nicht-akademische Statusanhebung, die aber schon teuer bezahlt werden musste.

Seither hat sich die Landschaft gewandelt. Die Angebote sind sowohl inhaltlich wie auch was den Status der Abschlüsse betrifft differenzierter geworden. Ich versuche in der Folge eine kleine Orientierungshilfe zu geben:
  • Nichtakademische Ausbildungsgänge, die zur Ausübung bestimmter spezialisierter Tätigkeiten berechtigen. Dazu gehören Supervision, Coaching, Organisationentwicklung, Mediation, Psychotherapie und ähnliche. Obwohl all diese Tätigkeiten zum Repertoire der Sozialarbeit als Profession gehören, wird man ohne die passende Zusatzausbildung diese Tätigkeiten deklarierterweise gar nicht oder kaum ausüben können. Die Qualität der Lehrgänge ist sehr unterschiedlich, auch die Kosten. Bei den meisten gibt es eine Vereinigung, die die Lehrgänge zertifiziert. Die Spezialisierung ermöglicht i.d.R. auch die Tätigkeit am freien Markt. Nur wenigen ist es aber vergönnt, ihre Spezialisierung zu einem Vollberuf ausbauen zu können. Trotzdem: Mit dem Abschluss als Supervisorin, Mediator oder Psychotherapeutin hat man bessere Chancen auf einen interessanten Job. Schließlich wird damit nicht nur Methodenkompetenz, sondern auch Bereitschaft zum Weiterlernen und zur Selbstreflexion signalisiert.
  • Universitätslehrgänge mit Master-Abschluss. Seit einigen Jahren werden an den Universitäten sogenannte Universitätslehrgänge angeboten, bei denen ein akademischer Titel erworben werden kann. Bis vor kurzem hieß der Abschluss „Master of Advanced Studies“ – eine österreichische Spezialität. Bei den neuen Lehrgängen heißt er „Master of Arts“ oder „Master of Science“ – wie international üblich. Den Titel erwirbt man nach 4 Semestern, vorausgesetzt, man schafft es, die „Master These“ (Diplomarbeit) zum ersten Termin vorzulegen. Für SozialarbeiterInnen waren da vor allem die Sozialmanagement-Lehrgänge interessant, wie der „ISMOS“ an der Wirtschaftsuni Wien oder „Soziale Arbeit und Sozial-Management“ an der Donau-Universität Krems. Es ist zu erwarten, dass das Angebot thematisch breiter wird. Und bei diesen Lehrgängen begegnet man nicht nur BerufskollegInnen, sondern auch AbsolventInnen anderer Studienrichtungen, die sich im Sozial- und Gesundheitswesen etabliert haben oder etablieren wollen. Zwei Wermutstorpfen gibt es allerdings: die Kosten sind beachtlich (mit annähernd 10000 Euro für das Gesamtpaket müssen Sie rechnen), und die Zulassung zu einem Doktoratsstudium ist zwar möglich, aber nicht garantiert. Für österreichische Verhältnisse vorerst noch ungewöhnlich ist, dass der Titel dem Namen nachgestellt wird – auch das entspricht den Gepflogenheiten in GB und den USA. In Deutschland nennt man diese Lehrgänge treffenderweise „Weiterbildungsmaster“. Individuell kann man die Kosten senken, indem man den Arbeitgeber zu einem Beitrag überredet – und wenn der nur in Dienstfreistellung für die wochentags stattfindenden Seminare besteht – und indem man die Ausgaben von der Steuer absetzt. AbsolventInnen der Akademien für Sozialarbeit haben mit ihrem Abschluss, der als einem Bakkalaureat gleichwertig gehandelt wird, i.d.R. kein Problem, zu einem Master-Studium zugelassen zu werden.
  • Universitätslehrgänge mit Abschluss „akademischer Experte“, zum Beispiel „akademische Sozialmanagerin“. Im Gegensatz zu den Master-Studien sind solche Lehrgänge auch für Personen ohne allgemeine Hochschulreife zugänglich und man erspart sich die Abfassung einer Master-These. Das Gesetz schreibt eine geringere Mindeststundenzahl vor (450 statt den für Master-Studien geltenden 750). Für sie gilt Ähnliches, wie für die nichtakademischen Ausbildungsgänge: Wer nicht unbedingt Wert auf einen akademischen Titel legt, ist damit oft gut bedient.
  • Masterstudiengänge an den Fachhochschulen. Seit der letzten Novelle zum Fachhochschulstudiengesetz können auch FHs Weiterbildungslehrgänge mit Master-Abschluss anbieten. Kosten wird das wohl ähnlich viel wie die Universitätslehrgänge, denn Bundessubvention gibt´s dafür keine. Die Lehrgänge müssen kostendeckend kalkuliert werden. Möglicherweise taucht bald das eine oder andere teure, aber vielleicht interessante „Nachgraduierungs“-Angebot mit dieser Rechtskonstruktion auf.
  • Um die Verwirrung komplett zu machen: Weiterbildungsveranstalter außerhalb der Hochschulen können auch sogenannte „Lehrgänge universitären Charakters“ anbieten. Sie müssen sich dafür den gleichen Rahmenvorschriften unterwerfen wie die Hochschulen, dafür dürfen sie die gleichen Titel vergeben. Um einen Master (Weiterbildungsmaster) zu erwerben, muss man also keine Hochschule von innen gesehen haben.
  • Als Krönung: Die „echte“ Nachgraduierung, also ein Magister-Studiengang an einer FH mit dem Abschluss „Mag. (FH)“. Von allen vorgenannten Varianten unterscheidet er sich dadurch, dass nur die vergleichsweise bescheidenen Studiengebühren zu zahlen sind – und für Titelfreunde: Der Magister steht wie gewohnt vor dem Namen. Der Zugang zu Doktoratsstudien ist immer noch ungeklärt, das Bildungsministerium will die klarstellende Verordnung nicht und nicht erlassen. Unklar ist auch, wann erstmals ein Magisterstudiengang angeboten wird. Das Bewilligungsverfahren zieht sich in die Länge. Zur Dauer: Das Gesetz sieht ein bis zwei Jahre vor. Bei berufsbegleitender Organisation kommen Veranstalter gehörig ins Schleudern, wollen sie einen einigermaßen den Master-Anforderungen entsprechenden Studienplan in weniger als 4 Semestern unterbringen. St.Pölten hat das in seinem Antrag versucht, ob das das Genehmigungsverfahren übersteht, wird sich weisen.

Der sogenannte Bologna-Prozess, also die EU-weite Vereinheitlichung von Studienformen und Studienabschlüssen, wird in den nächsten Jahren noch einige Bewegung bringen, und noch ist nicht ganz klar, wie die Umsetzung in Österreich aussehen wird. In Deutschland, wo derzeit die Umstellung des Sozialarbeits-Studiums anläuft, heißt auch das, was bei uns Magisterstudiengänge heißt (also die zweite Stufe nach dem Bakkalaureat), Master. SozialarbeiterInnen werden dort den „Master of Arts“ (MA) erwerben. Der „Master of Social Work“, von vielen gewünscht, hat sich nicht durchgesetzt. Angestrebt wird, dass ein Großteil der Studierenden nach Erwerb des Bachelor, also nach 3 oder 3 1/2 Jahren, ins Erwerbsleben geht. Nur ca. 30% eines Jahrgangs sollen in Richtung Masterabschluss weiterstudieren, so die Vorgabe der Politik. Die Gesamtdauer des Studiums bis zum Master-Abschluss wird jedenfalls 10 Semester sein.

Bei einem kürzlich abgehaltenen Kolloquium in Frankfurt diskutierten VertreterInnen der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit, des Fachbereichstags und des Berufsverbandes, wie im Interesse der Berufsgruppe mit der Umstellung umzugehen wäre. Es zeichnete sich ab, dass vor Zulassung zu einem Master-Studiengang eine zumindest einjährige Berufspraxis gefordert werden könnte. Die Vorgabe der Bildungsministerkonferenz sieht übrigens zwei Varianten des Master vor: eine eher Wissenschafts- und Forschungs-orientierte und einen Spezialisierungsmaster (z.B. „Clinical Social Work“). Der Wissenschafts-Master könnte für jene attraktiv sein, die später die Forschung und Lehre der Sozialarbeitswissenschaft tragen wollen. Silvia Staub-Bernasconi schlug vor, bei allen Spezialisierungsstudiengängen einen Anteil von 50% allgemeiner Vertiefung anzustreben. So soll garantiert werden, dass Sozialarbeit ein GeneralistInnenberuf bleibt. Wolf Rainer Wendt ergänzte, dass selbstverständlich auch „General Social Work“ eine attraktive Spezialisierung sei. Modularisierung und die Bewertung von Arbeitspensen im Studium nach Kriterien des internationalen Punktesystems ECTS wird dazu führen, dass das Studium auf allen Ebenen „dichter und intensiver“ wird, wie der Vorsitzende des Fachbereichstags Soziale Arbeit, Wilhelm Klüsche, betonte.

In den nächsten Jahren wird sich auch in Österreich das Angebot von hochschulbasierten Sozialarbeits-Studiengängen weiter verändern, wahrscheinlich weiter ausdifferenzieren. Es bleibt zu hoffen, dass dabei der Kern der Sozialarbeit als Profession und Disziplin erhalten bleibt, und dass SozialarbeiterInnen immer mehr Möglichkeiten haben werden, auf der Basis ihrer Profession ihre – auch akademische – Qualifikation weiter zu erhöhen. Die Bildungspolitik zwingt allerdings dazu, gutes eigenes Geld zu investieren, wenn man mehr als die Basisqualifikation erreichen will. Nicht zuletzt deshalb versuchen FHs, qualitativ hochwertige (damit auch für die Studierenden aufwändige) Magister-Studiengänge zu etablieren. Sie wollen SozialarbeiterInnen eine finanziell günstige Bildung auf höherem Niveau ermöglichen. Damit könnte endlich Sozialarbeit gleichwertig seinen Nachbardisziplinen begegnen. Das Ende von Sozialarbeit als Bildungssackgasse und Disziplin zweiter Klasse ist jedenfalls abzusehen.


Literatur:


Klüsche, Wilhelm (Hg.) (2003): Modularisierung in Studiengängen der Sozialen Arbeit. Mönchengladbach.

Mairhofer, Lydia (2002): Bedarfs-, Akzeptanz- und Kohärenzanalyse für den Fachhochschul-Studiengang Sozialarbeit (Magisterstudiengang) in St. Pölten. Wien.