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Sozialraum und Professionalisierung der Sozialen Arbeit

Erstellt am Sonntag, 14. März 2010 09:27

gekürzte Version eines Textes, der im Herbst 2007 in Haller, Dieter / Hinte, Wolfgang / Kummer, Bernhard (Hg.): Jenseits von Tradition und Postmoderne. Sozialraumorientierung in der Schweiz, Österreich und Deutschland, im Juventa-Verlag erscheint.

Das Bild der Sozialen Arbeit ist von entschiedener Unbestimmtheit. Während es „im Volk“ und auch bei den StudienanfängerInnen Vorstellungen darüber gibt, was SozialarbeiterInnen so machen (Helfen, Zuhören, Reden), schillert das professionelle Profil zwischen Information, der einfachen Exekution von Gesetzen (also: Verwaltungshandeln), handfester individueller Unterstützung und Psycho-Beratung. Die Debatte, was denn nun das „Eigentliche“ der Sozialarbeit sei, ist daher ein Evergreen, die professionelle Identität bleibt notorisch theoretisch ungeklärt. Manchmal wird das als Stärke, oft aber auch als Schwäche erlebt und beschrieben.

Marginalisierung der Fachsprache 

Namentlich in der Jugendwohlfahrt und im Feld der Sozialhilfe ist sozialarbeiterische Praxis eng mit der Verwaltung verflochten. Sie realisiert einen gesetzlichen Auftrag, ist für die individualisierte, fallbezogene Einschätzung von Ansprüchen bzw. der Passung von vordefinierten Hilfen zu den Bedürfnislagen des Klientels verantwortlich. Der fachlichen Eigenlogik der Fallführung und einer an den Bedürfnissen orientierten Hilfeplanung und Hilfeinszenierung ist in diesen Feldern immer wieder die Orientierung an den Gesetzestexten und der Verwaltungslogik neben- oder gar übergeordnet. Es konkurrieren die Sprachen: Die Alltagssprache als wichtigstes Verständigungsmittel mit den KlientInnen[i], die Verwaltungssprache als Sprache der innerorganisatorischen Legitimation, und die Fachsprache als Mittel der Selbstverständigung in der sozialarbeiterischen Fachlichkeit. Die Fachsprache hat hier schlechte Karten. Sie kann sich nur dort behaupten, wo ihr Gebrauch über gut funktionierende Teams und fachliche Leitung regelmäßig eingefordert wird. Der prekäre Status sozialarbeiterischer Fachlichkeit zeigt sich gerade auch in dieser Randständigkeit der Fachsprache in zentralen Feldern der beruflichen Performance.

In ihrer Praxis bleiben die SozialarbeiterInnen weitgehend einem Hilfeverständnis verhaftet, das die Potenziale der Profession nur marginal zu aktivieren vermag. Das hat zum einen mit der dürftigen Repräsentanz der Fachsprache in der sozialarbeiterischen Praxis zu tun, zum anderen mit Schwächen des fachlichen Diskurses selbst. Wenn ich nun Überlegungen über die Rolle von „Sozialraumorientierung“ für die Professionalisierung der Sozialen Arbeit anzustellen habe, dann werde ich mich auf diesen zweiten Aspekt konzentrieren, auf den Aspekt von Mängeln des Fachdiskurses selbst. 

Die Fachsprache, die Professionalität und der Raum

 Die Sozialarbeit scheint dazu verurteilt, sich ständig neu zu erfinden. Während es m.E. durchaus eine Kontinuität der Praxis gibt, wirkt die populäre Fachdiskussion wie eine Abfolge von Neuerfindungen. Einer Rückbeziehung auf das Individuum über die tiefenpsychologisch informierten und an der humanistischen Psychologie ausgerichteten Ansätze der vertieften Einzelfallhilfe folgten mit Schlagwörtern versehene Konzepte, die sich vor allem durch eine beachtliche Ignoranz gegenüber der Fachgeschichte auszeichneten und je einen Gesichtspunkt als Ausgangspunkt eines vermeintlich neuen methodischen Konzeptes herausstellten. Nach dem tendenziellen Verschwinden einer eigenständigen sozialarbeiterischen Professionalität im Therapieboom der 1980er-Jahre waren es Sozial-Management, Lebensweltorientierung, Case Management, das Empowerment-Konzept und andere „Orientierungen“, die als Marken den Anschein des Neuen erweckten und jeweils zumindest von einem Teil der PraktikerInnen als Vehikel zur Professionalisierung, zur Klärung der sozialarbeiterischen Identität begrüßt wurden. 

Ein neues Wort, und das bringt die Rede vom „Sozialraum“, steht damit unter dem Verdacht, der Sozialarbeit neuerlich ein Etikett anzudienen. Ein Etikett, das durch seinen notwendigen Reduktionismus wiederum verfehlt, was diese (Semi-?) Profession ausmacht und sich in ihrer Geschichte an praktischem Wissen angesammelt hat. Tatsächlich scheint sich die fachliche Praxis einer theoretischen Bestimmung immer wieder zu entziehen, wirken die theoretischen Modelle seltsam fern einer sich selbst anscheinend verstehenden Praxis.

Geht man davon aus, dass Sozialarbeit mit sozialen Problemen, also mit Fragen der Einbettung von Individuen in die Gesellschaft[ii] zu tun hat, so eröffnet sich das Problem einer umfassenden Komplexität und Eigendynamik ihres zu bearbeitenden Gegenstandes[iii]. Sozialarbeit ist Arbeit an einem Set bewegter bzw. sich selbst nach eigenen und keineswegs immer durchschaubaren Logiken bewegenden Objekte. Das gilt auch dann, wenn die Situationen, die SozialarbeiterInnen zu bearbeiten versuchen, irritierend statisch zu sein scheinen, wenn sich scheinbar über Monate und Jahre nichts bewegt. Und was für die Sozialarbeit die zu bearbeitende „Situation“ ist, hat keine natürlichen Grenzen, die von vornherein und in jedem Fall von selbst gegeben wären. 

Soziale Arbeit hat eben nur ein gedachtes, kein reales Objekt, und sie hat immer Probleme, Grenzen dieses Objekts zu definieren, es so fassbar zu machen. Darin besteht auch immer wieder der Reiz von „Orientierungen“: Sie schlagen zumindest Wegweiser ein, wenn sie schon nicht eindeutige Grenzen des fachlichen Interesses/Gegenstandes definieren können. 

Das Schlagwort vom sozialen Raum versucht, die Geographie von „Fällen“ ins Blickfeld zu bringen. Es beharrt darauf, dass Sozialarbeit nicht eine Technologie zur Behandlung von Individuen ist, sondern eine zur Beeinflussung von Inklusions- bzw. Exklusionsprozessen. Ihr Interesse muss daher immer sozialen Austauschprozessen gelten, soweit sie die Chancen von Individuen zur Bewältigung ihres Alltags beeinflussen.

Die Werkzeuge, die Sozialarbeit dafür zur Verfügung hat, sind v.a. das von der Organisation „geborgte“ symbolische und soziale Kapital und die Techniken des Gesprächs. 

Das symbolische und soziale Kapital (der institutionelle Auftrag, das Ansehen der Organisation, die Ausrichtung der Organisation an gesellschaftlich akzeptierten allgemeinen Zielen, die – teils erzwungene oder erzwingbare – Kooperationsbereitschaft der verschiedenen fallrelevanten Akteure mit der Organisation) ist zur Fallbehandlung unverzichtbar. Gleichzeitig bildet es aber eine Bürde: Viele Organisationen sind nicht zuletzt wegen der Individualansprüche normierenden gesetzlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit wenig daran interessiert, der genuin sozialarbeiterischen Orientierung auf das soziale Feld zu folgen, ja ihr überhaupt Raum zu geben. Sozialarbeiterische Professionalität ist nicht basal politisch, Sozialarbeit hat keinen politischen Auftrag (vgl. Schmid 2002), aber sie ist dort, wo sie ihre Professionalität entfaltet, stets an Lebens-Bedingungen interessiert. Bürokratische Organisation kann diese Lebens-Bedingungen allerdings immer nur als zu gewährende oder nicht zu gewährende Ansprüche individueller Rechtssubjekte fassen. Das ist eine Engführung, als deren Auswirkung SozialarbeiterInnen in ihrem Habitus verbeamten, auf ihre Rolle als ExpertInnen für Rechtsansprüche und die Angemessenheit von gemeinschaftlichen Leistungen reduziert werden – und sich vielleicht selbst reduzieren. So ermöglicht die Organisationsgebundenheit von Sozialarbeit ihre spezifische Form von Professionalität und gefährdet sie gleichzeitig. 

Wenn wir von der Sprache als strukturierendem Faktor von Professionalität und Habitus ausgehen, dann sind die Aufgeladenheit der sozialarbeiterischen Sprache mit rechtlichen Termini und jene mit psychologisierenden Termini Indikatoren für ihre zu große Abhängigkeit von Organisationen – und vielleicht auch für die Psychologisierung als vermeintlichen Ausweg, als nur mäßig tauglicher Lösungsversuch für die Probleme der tendenziellen Bürokratisierung. 

Gespräche – beratende und verhandelnde – als zentrale Technik sozialarbeiterischer Professionalität unterlaufen die eben beschriebene Tendenz. Sie geben einen Spielraum, der über die Organisation nicht völlig kontrollierbar ist. Das Gespräch, kunstgerecht geführt, führt Perspektiven ein, die über institutionelle Vorgaben und Sichtweisen hinausreichen. Mit den KlientInnen und anderen Fallbeteiligten geführt, macht es für die SozialarbeiterInnen die je individuellen Sicht- und Lebensweisen erkennbar und spannt einen Bedingungsraum für die zu bearbeitenden Probleme auf, der sich selten auf die rechtlich relevanten Sachverhalte beschränkt. Gespräche sind allerdings steuerbar. Was man nicht hören will, muss man nicht hören, ja das Gespräch kann sogar so geführt werden, dass KlientInnen bestimmte Aspekte der Situation überhaupt nicht zum Thema machen können. Was in den Gesprächen Thema wird und was nicht, wo man nachfragt und was man übergeht, das definiert praktisch den Gegenstand der Sozialarbeit, Fall für Fall. Oder noch vorher: Mit wem überhaupt gesprochen wird, wer als fallbeteiligt in den Blick genommen wird, das kann in seiner Bedeutung für sozialarbeiterische Identität, für das Verständnis von Professionalität und fachlicher Zuständigkeit gar nicht überschätzt werden. 

Wenn ich vorhin soziale Probleme bzw. Fragen der Inklusion als Proprium sozialarbeiterischer Professionalität genannt habe[iv], dann kann Sozialarbeit der Beschäftigung mit dem Raum gar nicht entkommen. Dann verfehlt sie ihren Gegenstand, wenn sie sich bloß als therapeutische oder erzieherische Profession versteht. Dann bleibt sie im Rechtskorsett gefangen, konkurriert auf verlorenem Posten mit JuristInnen, mit „echten“ BeamtInnen, mit PsychologInnen und MedizinerInnen in deren eigenem Feld, dann wird sie immer in der Hilfsposition verharren und unter ihren Möglichkeiten bleiben. Unter ihren Möglichkeiten nicht nur, was ihren Status betrifft, sondern auch was sachgerechte und wirkungsvolle Hilfe für ihr Klientel betrifft. 

Gemeinwesenarbeit, verstanden als eigene Sparte der Sozialen Arbeit, ist nicht geeignet, dieses entprofessionalisierende Missverständnis zu überwinden. Im Gegenteil: Gemeinwesenarbeit befestigt die Arbeitsteilung, verweist auf die individualisierende Bearbeitung des Falles als auf das „Andere“. Gemeinwesenarbeit unterminiert die allgemeine, ihre spezifische Professionalität konstituierende Raumbezogenheit der Sozialen Arbeit. 

Die Rede von der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit mit ihrer Trias der fallspezifischen, fallübergreifenden und fallunspezifischen Arbeit stellt die Einheit (wieder) her: der Bezug auf den Raum ist keine Frage der gemeinwesenbezogenen Spezialisierung, sondern konstituierend für die Professionalität jeder Sozialen Arbeit. Und die Forderung, dass die Organisation der Sozialen Arbeit diese Trias widerspiegeln und ermöglichen soll, ist im Lichte der vorangestellten Überlegungen über die Funktion der Organisation für die Professionalität der Sozialen Arbeit nur konsequent.

 

Was ist der Soziale Raum?

 In der Tradition der Gemeinwesenarbeit evoziert das Sozialraum-Schlagwort sofort Bilder von Gemeinwesen, von Stadtteilen oder Dörfern. Das hängt wohl damit zusammen, dass sich so am leichtesten eine Veranschaulichung des vorerst abstrakten Begriffes bewerkstelligen lässt. Die Bewirtschaftung der sozialen Beziehungen in diesen gedachten (oft willkürlich gesetzten) „Einheiten“ erscheint dann als das Eigentliche, als der Kern der Beschäftigung mit dem Raum in der Sozialen Arbeit und durch die Soziale Arbeit. Die Beschäftigung mit dem gegenständlichen topografisch aufgeschichteten Lebensraum der Menschen, mit den Austauschverhältnissen in einem Umkreis, der fußläufig erreichbar ist, ist zwar selbstverständlicher Bestandteil eines raumbezogenen Denkens, kann aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. 

Das Dorf ist ein universales Bild, in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte das Muster für einen überschaubaren Raum des Zusammenlebens, der Selbstorganisation, der Austauschverhältnisse zwischen einzelnen Individuen und zwischen Individuum und Gemeinwesen. Das Dorf ist im gedachten Idealtypus autark. Partielle lokale Autarkie ist das, was traditionelle Gemeinwesenarbeit herzustellen versucht: Eine Intensivierung des lokalen Austauschs. Die BewohnerInnen selbst sind die Ressource, die es zu „aktivieren“ gilt. Dieses Bild reicht bis in den aktuellen Sozialraumdiskurs hinein. Es ist kein falsches, aber es ist ein unzureichendes Bild in einer Gesellschaft hoher Mobilität, und wenn die Zielsetzung in diesem Bild gefangen bleibt, dann ist Sozialraumorientierung nicht mehr als eine konservativ-romantische Fußnote zur gesellschaftlichen Entwicklung des 21. Jahrhunderts. 

Anzumerken ist dazu auch, dass jene Fixierung den Blick auf Territorialität richtet, auf die gelingende oder nicht gelingende Eroberung von öffentlichem Raum durch Menschen[v] – in der Sozialen Arbeit: in erster Linie durch unterprivilegierte Menschen, z.B. männliche Jugendliche (Friebertshäuser 2004:16). Jugendlichen bringt die scheinbare Eroberung der Straße allerdings keine besseren Chancen im Ordnungssystem der Gesellschaft. Auch für andere sozial marginalisierte Gruppen ist der öffentliche Raum, das Territorium, eine Bühne der Darstellung der eigenen Präsenz, die in den anderen, den virtuellen und metaphorischen Räumen der Machtbeziehungen und des öffentlichen Diskurses nicht gelingen mag. Für manche dieser Gruppen ist das Territorium sogar Lebensraum, der Dschungel, in dem es seinen Alltag zu organisieren hat. 

Der moderne Staat beherrscht das Territorium so vollständig, dass seine Macht scheinbar verschwindet. Es bedarf keiner uniformierter Polizisten mehr im alltäglichen Straßenbild, um die Macht der staatlichen Ordnung zu demonstrieren. Die öffentliche Ordnung ist i.d.R. nicht gefährdet.

Noch vor der technischen Revolution der Kommunikation hat im 20. Jahrhundert die Trennung von Wohn- und Arbeitsräumen die Bedingungen des Lebens und der örtlichen Selbstorganisation radikal geändert. Auch die niederen Klassen arbeiteten zunehmend nicht mehr dort, wo sie wohnten. Ihr Alltag hatte 2 Welten – die Welt der Arbeit und die Welt der familiären Reproduktion. In einer Familie addierten sich die Orte des Lebens zu einer familiären Topografie der täglichen Wege der Familienmitglieder, die sie sternförmig ins Umland führten. 

Die Netze der Bezüge, in denen Menschen leben, werden aber nicht nur durch die Bewegungen der Körper im Raum geschrieben, nicht nur durch den Transport von gesprochenen und geschriebenen Texten und von Bildern durch den „Äther“, wie man früher gesagt hätte[vi]. Soziale Austauschbeziehungen haben zwar immer eine Basis von Kommunikation (letztlich der Kommunikation der Körper, die etwa in ihren folgenreichen Kontakten Verwandtschaft konstituieren), erschöpfen sich aber nicht darin. Über Gabe und Gegengabe (Volz 2006), Erwartungen und Erwartungserwartungen entsteht ein Netz an Potenzialitäten der Kommunikation und des Austauschs, das zu erkunden und dessen Möglichkeiten zu realisieren zu den Aufgaben der Sozialen Arbeit gehört. An Bedeutung gewinnt dieser Möglichkeitsraum noch einmal, weil er einen Teilraum des inneren Raumes von Personen, den Verstand als das „innere Gemeinwesen“ (Kluge 2005:35), laufend beschäftigt und so an der Konstituierung und der Begrenzung der Fähigkeit der Individuen, sich selbst zu bewegen, beteiligt ist. 

Zusammenfassend kann also festgestellt werden: Wir benötigen ein vielschichtiges Bild vom Sozialen Raum, oder, um genau zu sein, sollte von ihm in der Mehrzahl gesprochen werden. Das Dorf oder der Stadtteil als Ort lokaler sozialer Austauschbeziehungen ist nur einer der interessanten Räume – und nicht notwendigerweise der wichtigste. Soziale Austauschbeziehungen leben zwar weiterhin mit der face-to-face-Situation, sind aber nicht mehr sklavisch an sie gebunden. Sie werden heute über Distanzen aufrecht erhalten, dank Mobilität und dank der in den letzten Jahrzehnten sich ausbreitenden Kommunikation mit technischer Unterstützung[vii]

Und folgt man der oben ausgeführten Argumentation, so wären der gleichzeitig fallbezogene und raumgreifende Blick der Sozialarbeit als genereller Habitus zu lehren, methodisch zu stützen und einzufordern. Ein Blick, der sowohl bereit ist, den inneren Raum der KlientInnen wahrzunehmen, als auch die äußeren Räume, die gegenständlichen wie die personalen, rechtlichen, institutionellen und Beziehungsräume. Diese Räume wären in ihrer Ambivalenz als begrenzende und als Möglichkeitsräume zu begreifen und zu beschreiten. Dieses Projekt zu beginnen und fortzuführen, es auszubuchstabieren für die Handlungsfelder und Handlungsformen der Sozialen Arbeit, dafür kann das Stichwort Sozialraumorientierung vielleicht nützlich sein. Mit einer so verstandenen Sozialen Arbeit und der von ihr inspirierten Wissenschaft ließe sich die Professionalisierung vorantreiben und würden ihre Beiträge zur gesellschaftlichen, politischen und sozialwissenschaftlichen Diskussion an Relevanz gewinnen. 

 

Literatur

Böhme, Hartmut (2006): Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Reinbek.

Brandstetter, Manuela / Stattler, Ursula (2006): Sozialräumliches Arbeiten auf dem Land. Referat auf der Fachtagung “LANDläufig interessiert? SOZIALraumorientiert!” an der Fachhochschule St.Pölten, 23.2.2006. St.Pölten. 

Budde, Wolfgang / Früchtel, Frank (2005): Fall und Feld. Oder was in der sozialraumorientierten Fallarbeit mit Netzwerken zu machen ist. Das Beispiel Eco-Mapping und Genogrammarbeit. In: sozialmagazin Nr. 6.  S. 14-23.

Gerhardter, Gabriele (1998): Netzwerkorientierung in der Sozialarbeit. In: Pantucek, Peter/Vyslouzil, Monika: Theorie und Praxis lebensweltorientierter Sozialarbeit. St.Pölten. S. 49-72.

Friebertshäuser, Barbara (2004): Ethnographische Methoden und ihre Bedeutung für die Lebensweltorientierung in der Sozialpädagogik. In: http://www.bezreg-hannover.niedersachsen.de/dez407/ftp/se_veret.pdf, abgerufen am 14.12.2006.  S. 12-21.

Hinte, Wolfgang / Treeß, Helga (2007): Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe. Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik. Weinheim und München.

Hintermair, Christa (2002): Sozialraumorientierung im ländlichen Raum. In: http://www.sgbviii.de/S49.html: 10.4.2004.

Keupp, Heiner (2005): Was hält plurale und komplexe Gesellschaften zusammen und was stärkt die Zivilgesellschaft? Erkenntnisse der Netzwerkforschung und Sozialpsychologie. Thesen, die zum Bildungsforum “Vernetzung und Vertrauen. Was hält plurale Gesellschaften zusammen?” in der evangelischen Akademie Iserlohn am 8.9.2005 vorgelegt wurden. In: http://www.ipp-muenchen.de/texte/keupp_iserlohn.pdf: 4.5.2006.

Kluge, Alexander (2005): Die Lücke, die der Teufel lässt. Im Umfeld des neuen Jahrhunderts. Frankfurt am Main.

Pantucek, Peter (2005): Netzwerke, soziales Kapital und Zivilgesellschaft. In: Braun, Karl-Heinz u.a. (Hg.): Handbuch Methoden der Kinder- und Jugendarbeit. Studien zur pädagogischen Entwicklungsforschung und Qualitätssicherung. Wien. S. 498-506.

Pantucek, Peter (2005): Soziale Diagnostik. Verfahren für die Praxis Sozialer Arbeit. Wien und Köln.

Schmid, Tom (2002): Eulen nach Athen tragen. Oder: Gibt es eine besondere politische Verantwortung der Sozialarbeit?. In: Fachhochschulstudiengänge St.Pölten (Hg.): Schriftenreihe 2002. St.Pölten. S. 29-50.

Sixt, Helmut (2007): Wird von den Teammitgliedern bei Entscheidungen betreffend Unterstützung von Minderjährigen durch die Jugendwohlfahrt der Blick auch auf die „Important Others“ und die „Lebensumwelt“ des/der Minderjährigen gerichtet? Seminararbeit am Magisterstudiengang Soziale Arbeit / Sozialmanagement der FH Joanneum Graz. Graz.

Straus, Florian (2004): Soziale Netzwerke und Sozialraumorientierung. Gemeindepsychologische Anmerkungen zur Sozialraumdebatte. IPP-Arbeitspapiere Nr. 1. In: http:// ipp-muenchen.de. München.

Volz, Fritz Rüdiger (2006): Gabe und “condicio humana” – Sozialanthropologische und ethische Zugänge zum Gabe-Handeln. In: Fundraising Akademie (Hg.): Handbuch für Grundlagen, Strategien und Instrumente. 3. Neuauflage.

 

Autor

Peter Pantucek, geb. 1953 in Wien, Diplomsozialarbeiter, Mag. rer. soc. oec., Dr. phil., ist FH-Prof. und leitet den Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit sowie das Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung an der FH St. Pölten (Ö). Er publiziert zu Theorie und Methodik der Sozialen Arbeit. Website: www.pantucek.com

 


[i] Hier sei vorerst einmal davon abgesehen, dass sich die Alltagssprachen von SozialarbeiterInnen und bestimmten KlientInnengruppen systematisch unterscheiden können und die Profis sich in einem unbestimmten Feld gemischter Sprache bewegen: Sie verwenden ihre eigene Alltagssprache, angereichert mit Vokabeln aus dem Soziolekt der KlientInnen. Gleichzeitig bauen gelehrige KlientInnen Versatzstücke aus dem psychologisierenden Vokabular in ihre Äußerungen ein, was oftmals als Beratungserfolg gründlich missverstanden wird.

[ii] oder: der Interaktion von Individuen mit anderen, auch organisierten, Individuen; oder: mit der Alltagsbewältigung von Individuen in einer modernen, postmodernen oder post-postmodernen Gesellschaft

[iii] Ich beharre hier darauf, dass Sozialarbeit einen Gegenstand „behandelt“, d.h. dass sie vorerst einmal ein Subjekt-Objekt-Verhältnis annehmen muss, um überhaupt systematisch über ihr Handeln nachdenken zu können. Der Subjekt-Status der beteiligten Menschen, also auch der Subjekt-Status der KlientInnen, erscheint aus diesem Blickwinkel vorerst als Komplikation: er macht den zu bearbeitenden Gegenstand widerständig. Wird dieser Aspekt von den professionellen AkteurInnen nicht beachtet, so sinkt ihre Chance, im Sinne selbstgesteckter Ziele fachlich erfolgreich handeln zu können. Die Herstellung von Subjekt-Subjekt-Beziehungen in der Kommunikation mit KlientInnen, wie sie von den inzwischen aus dem Diskurs nahezu verschwundenen subjektorientierten Ansätzen als konstitutiv betrachtet wurde, ist somit nichts, was der Sozialarbeit als Profession vorausgesetzt ist oder vorauszusetzen wäre (gar aus moralischen Gründen), sondern stellt sich erstens von selbst her (KlientInnen wie andere Menschen auch verhalten sich eben als Subjekte, egal, ob man ihnen das „zugesteht“ oder nicht), und ist deshalb zweitens aus pragmatischen Gründen in die Handlungsstrategien der Fachkräfte einzukalkulieren.

[iv] Ich will mich hier nicht intensiver auf die Gegenstandsdiskussion einlassen, aber egal, ob man „soziale Probleme“, „Person in Situation“ oder eine andere Formulierung verwendet, stets ist es ein Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, das in den Blick genommen werden muss. Unter Gesellschaft verstehe ich hier nicht ein imaginiertes Ganzes, sondern ein soziales Feld, das immer auch geschichtlich, ökonomisch, rechtlich, politisch geformt ist, das sich in jedem Fall topographisch aufschichtet: mit einem Zentrum (dem Individuum bei der fallspezifischen Arbeit, einem Gemeinwesen bei der fallunspezifischen Arbeit) und nahen und ferneren Horizonten.

[v] Tatsächlich funktioniert der elementare Aufbau von Ordnung noch immer über die Herrschaft über ein Territorium, über die Möglichkeit einer Macht (z.B. eines Staates), notfalls mit Gewalt auf dem eigenen Territorium die eigenen Regeln durchzusetzen. Elementar ist dieses Prinzip von Macht und Territorialität, da es allen anderen Formen von Macht in der menschlichen Gesellschaft vorausgesetzt ist. Dies gilt auch dann, wenn diese territoriale Herrschaft unsichtbar wird, weil sie nicht herausgefordert wird. Die Herrschaft des Staates und seiner Gesetze kann vorübergehend ins Wanken kommen, wie bei den französischen Banlieu-Unruhen der letzten Jahre, oder über Jahre verloren gehen wie in Somalia in den Jahren der Herrschaft der Warlords. Mildere Formen der symbolischen Besetzung des Territoriums (wie die Gestaltung der eigenen Wohnung, die Ausschmückung des Stiegenhauses oder die symbolische Besetzung oder Markierung des öffentlichen Raumes durch die eigene (demonstrative) Anwesenheit oder das Anbringen von Zeichen bleiben auf die Duldung durch die Territorialmacht angewiesen. Der territoriale Aspekt ist also mit gesellschaftlicher Macht und Ordnung verbunden, wie auch mit der Ohnmacht der Unterprivilegierten. Er ist ein Ort der Auseinandersetzung, wobei den Unterprivilegierten, die archaische Formen der Raumbesetzung versuchen, notorisch die Rolle der Verlierer zugewiesen ist.

[vi] „Damals“ hatte die euphemistische Sprache der Popularisierung des technischen Fortschritts noch andere Bilder anzubieten. Die heutigen metaphorischen Bezeichnungen (z.B. „virtueller Raum“) evozieren andere, aber doch wieder romantische Vorstellungen.

[vii] Hartmut Böhme stellt hier den Bezug zur Globalisierung her: „Anstelle des Lokalen und Historischen tritt also die Globalisierung, welche raumübergreifend und geschichtslos durch die Netzwerke der Technik, des Verkehrs, der Telekommunikation und der Wirtschaft gebildet wird. (…) Die Atomisierung menschlicher Aktivitäten und damit tendenziell die Auflösung des Sozialen, des Geschichtlichen und des Regionalen führt, nach Musil, zur Dominanz des Abstrakten über das Konkrete.“ (Böhme 2006:149).