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Einer der spannendsten Berufe.

Erstellt am Sonntag, 14. März 2010 07:16

Interview, gegeben der Zeitschrift "Augustin" im November 2002.

Reflexionen über "einen der spannendsten Berufe"

Erschienen in der Straßenzeitung "Augustin" im November 2002

Keine Angst vor Menschen

Mag. Peter Pantucek ist Lehrer am Fachhochschulstudiengang Sozialarbeit in St. Pölten. SozialarbeiterInnen müssen zu Konflikten mit der Politik bereit sein, betonte er in einem Interview mit Radio Augustin, das wir im Folgenden zum Nachlesen servieren. Das Gespräch ist Teil einer Radio Augustin-Serie, die sich um die Fragestellung dreht, ob SozialarbeiterInnen Handlanger des Systems sind.

Was ist für dich Sozialarbeit?

Ein Beruf, der sich seit mehr als 100 Jahren professionalisiert, bedeutsamer wird und noch dazu ein spannender ist. Einer der spannendsten, den ich mir vorstellen kann.

Welchen Stellenwert hat die Sozialarbeit momentan in der Gesellschaft?

Einen zu geringen. Sagen natürlich alle SozialarbeiterInnen. Sein gesellschaftliches Gewicht nimmt aber langsam zu. Das Image der sozialen Arbeit ist zusehends besser geworden. Vor einigen Jahrzehnten war noch das Bild der doch eher autoritären Fürsorgerin das dominante Bild von sozialer Arbeit. Heute ist die Akzeptanz zumindest unter den Betroffenen - also unseren Kundinnen und Kunden - wesentlich größer. Bei den benachbarten Professionen gibt´s noch Anerkennungsprobleme. Etwa in der Medizin. Da werden SozialarbeiterInnen noch als Hilfskräfte dritter Ordnung betrachtet.

Wie würdest Du verkürzt die Aufgabe der SozialarbeiterInnen formulieren?

Das geht eben nicht so leicht in einigen Sätzen. Das lässt sich für Nicht-ExpertInnen nicht leicht transparent machen. Die Sozialarbeit selber sagt, ihre Aufgabe sei im weitesten Sinne die Organisierung von gesellschaftlich abgestützten Hilfsprozessen, die Wahrung der Menschenrechte. Oder, wie unsere amerikanischen KollegInnen sagen: Sozialarbeit vermittelt zwischen der Gesellschaft und ihren Rändern.

Du sagtest "Kundinnen und Kunden". Änderte sich das Vokabular der Sozialarbeit in den letzten Jahren?

Der KundInnen-Begriff , der eingesickert ist und in manchen Bereichen verwendet wird, hat seine Vorteile und seine Nachteile. Er betont, dass die, die früher KlientInnen genannt wurden, eigentlich die AuftraggeberInnen der Sozialarbeit sind, d.h. dass d e r e n Bewertungen die wichtigeren sind.

Wieweit ist die Hilfestellung, die Sozialarbeit anbietet, gesellschaftlich genug abgestützt?

Sagen wir so: Sozialarbeit als bezahlte Arbeit, als wirkliche Profession, kann in der Regel nicht von den KlientInnen fianziert werden. Es braucht die Politik oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die Sozialarbeit finanzieren, beauftragen. Ohne die geht´s nicht. Ohne die ist berufliche Sozialarbeit nicht denkbar. Andererseits gibt´s immer zuwenig Unterstützung. Sozialarbeit sieht immer einen größeren Bedarf. Und formuliert den auch gegenüber den Geldgebern. Denn SozialarbeiterInnen sind nie nur Agenten ihrer Auftraggeber, sondern sie geben diesen lästige Hinweise auf sonst wenig sichtbare oder verdrängte gesellschaftliche Tatbestände.

Kann es da auch zu ideologischen Differenzen kommen?

Aber sicher. Methoden, die SozialarbeiterInnen zur Lösung sozialer Probleme vorschlagen, werden von denen, die Sozialarbeit zu finanzieren haben, nicht immer gutgeheißen. Will Sozialarbeit ihre Aufgabe erfüllen, nämlich dass Hilfe tatsächlich auch als Hilfe ankommt und nicht als Repression, dann muss sie mitunter zum Konflikt mit der Politik bereit sein. Diese Konflikte sind immer wieder unangenehm.

Hinter welcher Methodik stehst Du?

Offiziell lehre ich Einzelfallarbeit. Ich nenne das selber lebensweltorientierte Individualhilfe. Ein Methode also, die den Einzelnen von vornherein als selbständigen, aktiven, entscheidungsfähigen und entscheidungsberechtigten Menschen sieht, der aber sein Subjektsein, seine Individualität immer nur unter den Bedingungen des sozialen Umfelds verwirklichen kann. Man arbeitet also auf mehreren Ebenen: Man versucht den Menschen zu befähigen, seine Probleme in den Griff zu kriegen, und man beschäftigt sich mit seinem gesellschaftlichen Umfeld.

Was ist deine politische Heimat?

Ich komme aus der Studentenbewegung nach 68, aus dem linken Eck. Und bin bei einer radikal demokratischen, die Subjekte respektierenden Haltung geblieben. Inzwischen habe ich wahrscheinlich ein größeres Vertrauen in die Menschen entwickelt, in Bezug auf ihre Fähigkeit, sich selber Räume zu schaffen, in denen sie leben können. Ich bin nicht mehr so überzeugt davon, dass man ihnen das definitiv staatlich vorschreiben muss.

Wie wohl fühlst du Dich im "roten Wien"?

Ist es ein rotes? Als ein in St. Pölten Lehrender kann ich Wien von außen betrachten. Es ist eine Stadt mit relativ vielen sozialen Einrichtungen. Zum Teil gefällt mir deren Qualität, zum Teil gar nicht. Ich denke, dass sich die Qualität steigern ließe, wenn das Element einer aktiven Zivilgesellschaft mehr Platz bekäme, wenn eigeninitiative BürgerInnen auch selber was entwickeln könnten, neben den kontrollierten Projekten der Stadtverwaltung. Das ließe sich durch Geld fördern, wäre kein schlechte Idee. Und durch die Aufgabe der Ideologie, alles müsse die Stadt selbst anbieten. In manchen Bereichen wäre es schön, ließe die Stadt zahlreiche Akteure der sozialen Arbeit zu. Seit den 80er Jahren herrscht die Klage des "Sozialabbaus". Gleichzeitig sind die Mittel, die für diesen Sektor aufgewendet werden, kontinuierlich gestiegen. Den Abbau hat es immer sehr wohl gegeben, aber er wird kompensiert durch andere Maßnahmen. Was die Sache subjektiv schlimmer macht, ist, dass die Gesellschaft weniger homogen geworden ist. Die Sozialarbeit ist ja nicht allein dafür verantwortlich, dass es den Menschen gut geht. Sondern die ökonomische Situation insgesamt und die Einkommensverteilung etc. Da sind die eigentlichen Einbrüche erzielt worden. Die Schere zwischen den niedrigen und den hohen Einkommen ist enorm auseinander gegangen. Ein Ansteigen von Ausgaben für soziale Integration in weiterem Sinn kann diese Entwicklungen nicht wett machen.

Wie hilfreich ist ehrenamtliche Sozialarbeit?

Das Problem dabei ist, dass die Haltung entstehen kann, Sozialarbeit sei etwas, was man so nebenbei machen kann. Man braucht freiwillige Arbeit, man braucht Leute, die sich dafür interessieren, aber man braucht auch das Geld und die Profis, die die Qualität von sozialer Arbeit sichern können. Insofern reißt es mich immer, wenn im Zuge außergerichtlicher Verfahren gesagt wird, ein Jugendlicher werde zu einer Woche Sozialarbeit "verurteilt".

Welche Eigenschaften sollte ein/e angehende/r Sozialarbeiter/in mitbringen?

Sich nicht vor Menschen fürchten. Großes Interesse an Menschen und Lebenssituationen. Absolute Neugier.

Sollten SozialarbeiterInnen die Welt verbessern wollen?

Es wird ihnen oft vorgeworfen, Sozialromantiker zu sein. Wer will nicht die Welt verbessern, wenn er sich - als denkender Mensch - einigermaßen in ihr befindet? In diesem Sinn sollten das auch SozialarbeiterInnen tun. Zumindest sollten sie versuchen, den Ausschnitt der Welt zu bessern, in dem sie tätig sind.

Wie siehst Du die Rolle von Straßenzeitungen.

Ein erprobte Sache in einigen Städten. Weitermachen. In diesem Fall bin ich froh, dass in Wien die Vielfalt nicht allzu groß ist. Ich weiß, dass in anderen Städten die Straßenzeitungen sich nahezu bekriegen.

Was für ein System müsste herrschen, damit Sozialarbeit überflüssig wird?

Ein solches System kann ich mir nicht vorstellen. Sozialarbeit ist entstanden als Reaktion auf die Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Und wenn die Vielfalt besteht, stellt sich immer das Problem: Wie krieg ich aus der Vielfalt wieder einen Zusammenhalt? Wie kann ich absichern, dass niemand völlig raus fällt? Und ich will auch in Zukunft eine vielfältige Gesellschaft haben...