Peter Pantuček-Eisenbacher, Wien/St. Pölten

Good Times 2010

Erstellt am Montag, 20. Dezember 2010 22:24

Die Jahrescompilation 2010 ist fertig. Viel downtempo, wenig Pathos. War vielleicht auch ein langsames Jahr, oder eines, in dem Entschleunigung gewünscht gewesen wäre. Wie üblich ist ein wenig Trauer dabei über all jene, die dann aus Platzgründen doch nicht aufgenommen werden konnten. Sehr schöne Alben von Tin Hat, Arcade Fire, Nouvelle Vague, Wolfe Parade, Orgone, Belle and Sebastian, Stee Downes, den Aqua Velvets, M.I.A. und anderen blieben unberücksichtigt. Ich hoffe, dass der Zusammenschnitt trotzdem Freude bereitet.

 

 

Los Lobos – Mit „Tin Can Trust“ haben sie 2010 ein Album abgeliefert, traditionell ausgerichtet, das Freude macht. Solides Handwerk, verbreitet eine ganz eigene Stimmung. Gehärt zu meinen absoluten Lieblingsmusiken des Jahres.

Souad Massi – Die algerische Liedermacherin integriert arabische Klänge und französische Tradition. Ihr Album „O Houria“ ist unspektakulär, und gerade deshalb sehr schön.

Tocotronic – Seit langem (1 ½ Jahrzehnten?) ein Fixstern. Und der Text des „Zweifel“-Songs wieder einmal ein Highlight.

Laura Gibson – „Edelweiss“ ist ein Muss. Der Film über die Trapp-Familie war tief im 20. Jahrhundert ein Welterfolg. Alpenländische Folklore in einem Anti-Nazi-Rührstück. In Österreich war das damals kein Erfolg, warum auch immer. Laura Gibsons Edelweiß-Version ist brüchig, und gerade deshalb noch einmal rührseliger als das Original. Zu finden auf dem köstlichen Sampler „Sing me to Sleep – Indie Lullabies“

Sonny & the Sunsets – Yeah, die Boys schrummeln dahin, dass es eine Freude ist. „Tomorrow is Alright“ heißt ihr Album.

Dala – Noch einmal die „Indie-Lullabies“. Beispiel für die Wiederentdeckung von amerikanischen Klassikern.

Dr. John – Der Altspatz lieferte heuer mit „Tribal“ ein sehr schönes Album ab. Bewährte Werte, bewährter Stil, verfeinert und gar nicht nur die alte Routine.

Pink Martini – Easy Listening, schon einige Jahre alt. Genug Ironie, um ungetrübte Freude zu bereiten. Heuer haben sie ein Weihnachtsalbum produziert.

Fanfarlo – Jetzt doch etwas aus dem sogenannten Alternative Mainstream. Anklänge an Arcade Fire, trotzdem eigenständig. „Reservoir“ war eine der hübschesten CDs des Jahres.

Johnnie Cash – Und noch einmal ein Album aus dem Nachlass des großartigen Country-Sängers: Die Nr. 6 der American Recordings. Er ruhe in Frieden und unser Dank für die berührenden Produktionen seiner letzten Lebensjahre möge ihn noch erreichen, irgendwo.

Hot Chip – Mit „One Life Stand“ lieferten Hot Chip eines der Alben des Jahres und auch den Song des Jahres. Kunstvoll aufgebaut. Es dauert 2:10, bis der Refrain erstmals ertönt, das Warten lohnt sich.

Cowboy Junkies – Sind schon lange im Geschäft. Diese Nummer ist für ihre Verhältnisse sehr schnell und laut, sind sie doch die Meister der Langsamkeit und Ruhe. Haben 2010 mit „Renmin Park“ ein rundum gelungenes Comeback vorgelegt.

The Chieftains featuring Ry Cooder – Ry Cooders Produktivität ist unglaublich. In schöner Regelmäßigkeit produziert er herrliche Alben, immer mit einer historischen Reminiszenz. In diesem Fall geht´s um Iren, die es in den mexikanischen Unabhängigkeitskampf verschlagen hat. Wieder einmal große Kunst. Ry Cooder gebührt ein Platz im Olymp.

Teenage Fan Club – Anfang der 1980er-Jahre waren sie kurze Zeit ganz groß, tolle Melodien, Power Pop. Seither dümpeln sie irgendwo in England in Clubs. 2010 mit „Shadows“ ein Lebenszeichen, das an die Go-Betweens selig erinnert.

The National – Ja, die gehören zum Inventar. In allen g´scheiten Kolumnen der Qualitätszeitungen sind The National spätestens mit ihrem 2010er-Album „High Violet“ als intellektuell sauber abgesegnet. Sind trotzdem gut.

Sierra Leone´s Refugee All Stars – Eine für Europäer maßgeschneiderte Geschichte begleitete den gerechtfertigten Aufstieg dieser Band. Formiert in einem Flüchtlingslager in Westafrika, haben sie mehr zu bieten als moralische und politische Correctness. Ihr Album „Rise and Shine“ überstrahlte 2010 fast alles, was sich zwischen Cuba und Afrika sonst abspielte.

Nemanja Radulovic – Jungstar an der Geige, ein Live-Album („Les Trille du Diable“) testet die Massenwirksamkeit von Kammermusik aus. Ergebnis: es wirkt.

Poss Miyazaki – In den 1960er-Jahren in Japan: Hawaii-Exotik, sehr gefällig von Japanern in Szene gesetzt. We like it.

Afrocubism – Ein Nachzügler: Ursprünglich sollte das, was nachher der Welterfolg „Buena Vista Social Club“ war, eine Kooperation von kubanischen und afrikanischen Musikern werden. Scheiterte damals an Visa und ähnlichem. Jetzt doch: a very nice fusion.

Calexico – Ja eh, altbekannt, ein bisserl zu stromlinienförmig manchmal, jetzt aber: „Feast of Wire“. Mit alten Stärken und mit Remixes, die manches gerade rücken. Hier allerdings ein kleiner Track ohne mixende Fremdbeteiligung.

Sufjan Stevens – Da war einmal ein umfangreiches Weihnachtsalbum, mit FreundInnen und wenig kunstvoll, einfach folky. Heuer: „The Age of Adz“, ein sperriges Album, das auf das Werk des schizophrenen Künstlers Royal Robertson referiert. Ein Meisterwerk, daraus die leichte Kost.

Space Cossacks – Eine Entdeckung 2010: Surf. Eine skurrile Szene mit dem Gitarrensound der 1960er-Jahre. Unter den Bands echte Perlen (z.B. die Aqua Velvets). Hier aber die eher lustige Variante. Wenn man die Spotnicks einst konserviert hätte, würden sie jetzt wohl so klingen.

Bryan Ferry – Alles ausgegraben, selbst Meister Eno ist wieder dabei. Auf Ferry´s 2010er-CD „Olympia“ gibt´s lauter Cover-Versionen, und manche funktionieren gut im alten Bryan Ferry-Style. Klang- und Rhythmus-Teppiche, darüber die blasierte Stimme des Meisters. So hören wir´s gern.

Plan B – Aus dem Umkreis von Beirut ein fragiles Album („The Lost Son“). Ganz einfach schön, mit sentimentalem und schrägem Gebläse, wie es sich gehört.

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