Peter Pantuček-Eisenbacher, Wien/St. Pölten

Wiener Wahl 2010

Erstellt am Montag, 11. Oktober 2010 21:29

Ich fürchte die nächsten Wochen. Es werden die Kondolenzschreiben von Freunden und Kolleginnen einlangen zu den Wiener Wahlen. Ich habe keine Lust, die zu beantworten, und ich habe keine Lust, mir kondolieren zu lassen.

 

Seit Jahrzehnten frequentiere ich gerne nicht nur gute Restaurants und Kaffeehäuser, sondern auch Wiener Beiseln der eher „tiafen“ Art. „Tiaf“, das ist auf Wienerisch die Bezeichnung für das Nicht-korrekte, das Unterschichtige, „Grindige“. Letzteres auch so ein Wiener Wort, gerne gebraucht für das Eklige. Der „Grind“ ist die Schicht, die sich auf der Haut bildet, wenn man sich lange nicht wäscht. Bei manchen Arbeiten bildet sich der Grind in wenigen Stunden, und er ist gar nicht so leicht zu entfernen. Je

denfalls verhindert er, in guten Restaurants als geschätzter Gast zu gelten.

 

In diesen Beiseln hat sich das Wahlergebnis abgezeichnet, weshalb es mich nicht überrascht. Was mich beunruhigt, ist nicht das Ergebnis. Was mich beunruhigt, ist die Dynamik des Diskurses, die ich in den Spelunken der Arbeiter, Pensionisten und des Kleinbürgertums in den letzten Monaten beobachten musste. Das Ressentiment hat sich ungehindert Bahn gebrochen, jene mit mangelhafter Selbstkontrolle haben schon auch einmal Tötungsfantasien gegen Asylwerber, Türken und den Bürgermeister herausgeschrien. Beängstigend war weniger das, als dass sich niemand gefunden hat, der dem Einhalt zu gebieten versucht hätte. Es müssen immer wieder auch Leute hier gesessen sein, die am Wahltag ihr Kreuzerl bei der SPÖ machen. Die waren aber still. Kein Mucks. Hate Speach aller Orten, als Antwort betretenes Schweigen.

Kurz vor dem Wahltag lese ich in der deutschen Wochenzeitschrift „Die Zeit“ von einem Auftritt Sarrazins in München. Dort, sicher kein Arbeiterpublikum, finden die ressentimentaffinen Teile des Sarrazinschen Befundes johlende Zustimmung. Vernünftige Diskussion? Nicht möglich. Der Bericht füllt die recht Hälfte einer Seite. Auf der linken Hälfte plädiert ein namhafter Intellektueller dafür, sich nicht auf das Ressentimenthafte in Sarrazins Gesellschaftsanalyse einzuschießen, sondern hinzuschauen, wo er Recht hat. Gespenstisch. Das Problem ist nicht, dass ein Intellektueller neben vielem Richtigen auch einigen Schrott von sich gibt. Das Problem ist, dass der Schrott die Mobilisierung bewirkt.

HC Strache ist jenseits. Er ist nüchtern betrachtet eine lächerliche Charaktermaske. Er ist nicht die Gefahr. Die Gefahr sind auch nicht die Schreier. Die Gefahr ist die Stille, die den Schreiern das Schreien ermöglicht. Dass dort, wo es darauf ankommt, niemand dagegenhält. Nur die Sozialdemokratie könnte das tun. Sie ist nicht mehr dazu in der Lage. Vor langer Zeit hat der Wiener Bürgermeister Häupl davon gesprochen, dass man die Lufthoheit über den Stammtischen brauche. Er wurde damals dafür belächelt, manchmal auch geschmäht. Als ob es darauf ankäme, was männliche Loser und Underdogs im Alkoholdusel von sich geben, wo heutzutage die Entscheidungen doch ganz wo anders getroffen werden. Es kommt darauf an.

Die Überraschung der Wahl ist nicht das gute Abschneiden der Strache-FP. Die Überraschung ist, dass doch so viele Arbeiter die SPÖ gewählt haben. Zu hören waren sie in den letzten Monaten nicht. Mögen sie nicht auf Dauer verstummt sein. Ich würde es bedauern, um die Wiener Beiseln einen Bogen machen zu müssen.